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von Claudia Müller
Note: 8
Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen. Schon der Untertitel des Dokumentarfilms lässt erahnen, dass Claudia Müller, um ein getreues Porträt der Autorin zu zeichnen, von dem Sprachgebrauch ausgeht, den sie in all ihren Werken verwendete. Eine Sprache, die frei von allen Konventionen, mutig und oft verwirrend ist. Genau wie der Regieansatz, den Müller in seinem Film gewählt hat. Auf der Viennale 2022.
Mit der Sprache spielen
Es ist nicht einfach, sich einer Persönlichkeit wie der charismatischen und umstrittenen Schriftstellerin – und Literaturnobelpreisträgerin – Elfriede Jelinek zu nähern. Das ist nicht einfach, denn wenn man bedenkt, wie die Autorin im Laufe ihrer bemerkenswerten Karriere mit der Sprache gespielt hat und wie sie sich – auf sehr persönliche und mutige Weise – mit einigen hochaktuellen und ziemlich heiklen Themen auseinandergesetzt hat, wird einem sofort klar, dass wir es mit einer schwer einzuordnenden Künstlerin zu tun haben, mit einer Künstlerin, die einen ganz eigenen Stil in einer Reihe von literarischen und theatralischen Werken, über die in der ganzen Welt gesprochen wurde, die aber in Österreich, in ihrem eigenen Land, oft heftig kritisiert wurden, geschaffen hat. Die Regisseurin und Journalistin Claudia Müller hat in ihrem Dokumentarfilm Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen, der anlässlich der Viennale 2022 in Österreich uraufgeführt wurde, dennoch diesen schwierigen Weg beschritten und ein Werk geschaffen, in dem die Seele des Werkes von Elfriede Jelinek, aber auch ihre äußerst empfindsame Persönlichkeit spürbar sind.
Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen. Schon der Untertitel des Dokumentarfilms lässt erahnen, wie die Regisseurin, um ein getreues Porträt der Autorin zu zeichnen, von der Verwendung der Sprache ausging, die sie in all ihren Werken verwendete. Eine Sprache, die frei von allen Konventionen ist, eine Sprache, die mutig und oft verwirrend ist. Genau wie der Regieansatz, den Müller in seinem Film gewählt hat. Und in der Tat hat Claudia Müller diesem wichtigen Werk – direkt, witzig und oft auch stark ironisch – die einzige Form gegeben, die eine Dokumentation über Elfriede Jelinek überhaupt haben kann.
In Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen sehen wir vor allem, wie durch den geschickten Schnitt die Figur der Autorin aus Mürzzuschlag auf der Leinwand lebendig wird, obwohl sie eigentlich nie anwesend ist. Claudia Müller hat vor allem eine akribische und sorgfältige Recherche in Archivmaterial und alten Fotografien durchgeführt, um die Essenz von Jelineks Werken vollständig wiederzugeben, auch dank der Texte, die von Zeit zu Zeit von den Schauspielerinnen Sophie Rois, Stefanie Reinsperger, Sandra Hüller und Ilse Ritter aus dem Off gelesen werden. Auszüge aus einigen der wichtigsten Werke der Autorin, die ihren langen künstlerischen Weg umfassend dokumentieren.
In Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen sind die biographischen Informationen spärlich und wesentlich und dienen vor allem dazu, uns zu zeigen, wie Jelinek zu schreiben begann und was sie im Laufe der Jahre dazu veranlasste, sich mit bestimmten Themen auseinanderzusetzen (wie zum Beispiel die komplizierte Beziehung zu ihrer Mutter in Die Klavierspielerin oder das Bedauern darüber, dass sie ihre Beziehung zu ihrem Vater, der zu früh in einer psychiatrischen Klinik starb, nie wirklich gepflegt hat). Während die Off-Stimmen ihre Texte vorlesen, wird gleichzeitig den Landschaften (meist von oben in langsamen Kamerafahrten aufgenommen) große Aufmerksamkeit geschenkt. Landschaften, in denen Jelinek selbst geboren wurde und lebte und die sie zugleich hasste und liebte.
Wenn man sich Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen anschaut, hat man fast den Eindruck, eine Achterbahnfahrt zu machen. Vor allem zu Beginn des Dokumentarfilms sehen wir einen ausgesprochen hektischen Schnitt, der uns an die Hand nimmt und in eine Welt führt, von der wir sofort fasziniert sind. Und das ist auch – und vor allem – der Figur der Elfriede Jelinek zu verdanken, die von Claudia Müller auf der Leinwand so lebendig und pulsierend dargestellt wird, dass sie uns mit ihrem genialen Geist und ihrer unglaublichen Verwundbarkeit ganz nah zu sein scheint.
Ja, Verwundbarkeit. Elfriede Jelinek, die unter Angstzuständen leidet, zog sich kurz nach der Verleihung des Nobelpreises im Jahr 2004 ins Privatleben zurück, vor allem wegen der zahlreichen Kontroversen in Österreich. In Österreich, ihrem Heimatland, das sie wegen eines gefährlichen latenten Faschismus immer stark kritisiert hat. Und wer weiß, ob Österreich heute endlich die Bedeutung dieser Autorin erkannt hat. Das Viennale-Publikum war am Ende der Vorführung von Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen jedenfalls begeistert.
Titel: Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen
Regie: Claudia Müller
Land/Jahr: Deutschland, Österreich / 2022
Laufzeit: 96’
Genre: Dokumentarfilm
Buch: Claudia Müller
Kamera: Christine A. Maier
Produktion: CALA Filmproduktion, Plan C Filmproduktion