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WER HAT ANGST VOR BRAUNAU?

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von Günter Schwaiger

Note: 5.5

In Wer hat Angst vor Braunau? erzählt Regisseur Günter Schweiger eine kontroverse Geschichte aus vielen, vielleicht zu vielen Perspektiven. Dadurch sind die möglichen interessanten narrativen Fäden leider zu schwach und bieten keine Möglichkeit für eine tiefere Überlegung oder Analyse.

Ein Haus und die Vergangenheit in uns

Vier Jahre nach seinem Filmdebüt mit dem Drama Der Taucher beschäftigt sich das dokumentarische Talent von Günter Schwaiger mit einem kontroversen und sicherlich spaltenden Thema. Das Problem ist, dass der Regisseur in Wer hat Angst vor Braunau? ein Mosaik von narrativen Fäden schafft, die zwar alle potentiell interessant sind, am Ende aber oberflächlich bleiben, ohne die nötige Vertiefung. Schade.

Der gemeinsam mit der Kollegin Julia Mitterlehner produzierte Film Wer hat Angst vor Braunau? beginnt mit einer einfachen Frage, die sich Schwaiger, der selbst aus Neumarkt am Wallersee in Salzburg kommt, gestellt hat: „Warum hat noch niemand einen Film über Adolf Hitlers Geburtsort gemacht?“. Der Dokumentarfilmer und Ethnologe betrachtet die Orte seiner eigenen Kindheit als eine Realität auf halbem Weg „zwischen Mozart und dem Führer“, den zwei am häufigsten gegoogelten Österreichern aller Zeiten, und versucht in seinen Überlegungen, seine persönlichen Erfahrungen in Bildern zu erzählen und sie mit denen anderer zu vergleichen, seien es Einwohner:innen von Braunau oder Tourist:innen in Salzburg.

All dies, nachdem das österreichische Parlament 2016 beschlossen hat, den bisherigen Eigentümer dieses Biedermeierhauses im Zentrum von Braunau am Inn zu enteignen, um es der Bundesrepublik Österreich zu übereignen. Erst später stellte sich heraus, dass das Haus nicht als Sitz des Vereins „Lebenshilfe“, sondern als Polizeistation geplant war. Dies verstärkte die nie ganz bestätigten Vermutungen, dass Hitler selbst das Haus in eine Art Verwaltungszentrum umwandeln wollte. Mit anderen Worten: Der Wunsch eines Despoten wurde letztlich erfüllt.

So wechseln sich in Wer hat Angst vor Braunau? in weniger als 100 Minuten verschiedene Interviews und polizeiartige Überwachungen ab, die fast alle vor dem Haus stattfinden, in dem 1889 der Gründer der Nationalsozialistischen Partei Deutschlands geboren wurde. Indem er persönliche Erfahrungen mit einem zehn Jahre zuvor geführten, bewegenden Interview mit seinen verstorbenen Eltern und einem Rendezvous mit seinem Bruder Erwin, dem Besitzer eines nahegelegenen Bauernhofs, verwebt, hebt Schwaiger die Erzählung auf eine höhere Ebene und zitiert sogar Melanie Kleins projektive Identifikation in einer an einer örtlichen Schule angestoßenen Debatte über die uralte Problematik der Rolle der Zuschauer:innen von Tragödien, die nach Ansicht vieler Wissenschaftler:innen ebenso aktiv beteiligt sind wie die Gewalttäter:innen.

Wenn nicht helfen tatsächlich bedeutet, selbst schuldig zu sein, ist die Antwort auf die Frage, die den Anstoß für die Realisierung von Wer hat Angst vor Braunau? gegeben hat, schnell gefunden: Die Vergangenheit in uns ängstigt uns so sehr, dass wir sie vermeiden wollen. Um es klar zu sagen: Niemand hat Angst vor dem Haus selbst, einem schönen Gebäude aus dem späten 19. Jahrhundert, sondern vor dem, was es repräsentiert. Und das ist auf jeden Fall beunruhigend, wenn man bedenkt, dass Hitler nicht als Führer und blutiger Diktator geboren wurde, sondern zu einem solchen wurde. Und vor allem wurde er es weit weg von Braunau, das ironischerweise direkt an der deutsch-österreichischen Grenze liegt. Der Beitrag von Prof. Embacher, Historikerin an der Universität Salzburg, ist in diesem Sinne aufklärend: Es handelt sich um ungelöste Konflikte, die an die nachfolgenden Generationen, die ja auch diese Last zu tragen haben, weitergegeben wurden.

Aber „was stellt dieses Haus dann dar?“, fragt Günter Schwaiger in seiner fünfjährigen Forschung. Das Haus, so die Wissenschaftlerin weiter, ist das Symbol, das normalisiert, nicht ausgelöscht oder gar aufgewertet werden soll. Es muss re-dimensioniert werden. Und was aus dem Dokumentarfilm hervorgeht, lässt wenig Raum für Phantasie. Das Haus ist zu einem Stigma für die Bewohner:innen der Stadt und zu einem spaltenden Gebetsort geworden, sowohl für die Nostalgiker:innen des Nationalsozialismus als auch für diejenigen, die Totalitarismus scharf ablehnen.

„Braunau“, sagt Schwaiger, „hat mir die Augen geöffnet“. Und zwar, als der Regisseur endlich das Haus betreten durfte und zeigte, dass man im Inneren tatsächlich nichts zu befürchten hat. Vor allem aber zeigt er, dass man sich nicht hinter den Fassaden verstecken kann, auch wenn sie noch so sehr renoviert und neu gestrichen werden: Bilanz wird von innen gezogen, metaphorisch gesehen. So wie es der riesige Stein andeutet, der als Erinnerung vor dem Gebäude steht, im Namen der Millionen von Toten, die zwar nichts mit dem Haus selbst zu tun haben, die aber ein ganz anderes Bewusstsein verdienen.

Wer hat Angst vor Braunau? erzählt in angemessener Weise eine kontroverse Geschichte, verwendet aber viele, vielleicht zu viele, Perspektiven. Die möglichen interessanten narrativen Fäden, die leider zu schwach sind, bieten keine Möglichkeit für eine tiefere Überlegung oder Analyse. Vor allem das Interview mit der 100-jährigen Lea Olczak, ehemalige Vizebürgermeisterin und Kind der Stadt Braunau während der NS-Zeit, und damit direkte Zeugin des damals populären Mantras: „Das war’s, Schluss“. So treffend wie die letzte Zeile dieses Artikels, der von so vielen guten Ideen erzählt, von denen aber keine wirklich erfüllt worden ist. Schade.

Titel: Wer hat Angst vor Braunau?
Regie: Günter Schwaiger
Land/Jahr: Österreich / 2023
Laufzeit: 99’
Genre: Dokumentarfilm
Buch: Günter Schwaiger, Julia Mitterlehner
Kamera: Günter Schwaiger
Produktion: Günter Schwaiger Filmproduktion, DIm DIm Film

Info: Die Seite von Wer hat Angst vor Braunau? auf iMDb; Die Seite von Wer hat Angst vor Braunau? auf der Webseite der Austrian Film Commission; Die Seite von Wer hat Angst vor Braunau? auf der Webseite des Österreichischen Filminstituts; Die Seite von Wer hat Angst vor Braunau? auf der Webseite der DIm DIm FIlm