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1928 veröffentlichte die Vossische Zeitung zum ersten Mal den Roman Im Westen nichts Neues in Fortsetzungsform. Erich Maria Remarque war noch ein fast unbekannter Autor. Endlich hatte man ein Bild des Krieges, das von jemandem betrachtet wurde, der ihn selbst erlebt hatte, indem er an der Front kämpfte. Der Krieg wurde hier als ein Ereignis gesehen, das nur dazu diente, die Mächtigen zu bereichern.
Neue Revolten in der Stadt
Eine echte Sensation war in den letzten Monaten der Spielfilm Im Westen nichts Neues von Edward Berger mit dem jungen österreichischen Schauspieler Felix Kammerer in der Titelrolle, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Erich Maria Remarque. Der mit vier Oscars (u. a. für den besten internationalen Film) ausgezeichnete und von der Akademie in nicht weniger als neun Kategorien nominierte Film ist die dritte Verfilmung von Remarques Roman (nach Im Westen nichts Neues, 1930 unter der Regie von Lewis Milestone, und Im Westen nichts Neues, 1979 unter der Regie von Delbert Mann).
Wenn also Remarques Roman heute als einer der wichtigsten Klassiker des letzten Jahrhunderts gilt, so wissen nur wenige, dass mit dem Erscheinen des Buches (und noch mehr mit dem Erscheinen von Milestones Film) weltweit (und insbesondere in Deutschland und Österreich) eine wahre Revolution mit Protesten und Demonstrationen begann. Der Grund dafür? Ganz einfach: Remarque (und nach ihm Milestone) zeigten uns zum ersten Mal – im Gegensatz zum jahrelangen Propagandafilm – den Krieg als brutales und unnatürliches Geschehen, als etwas völlig Ungerechtes, bei dem gerade die jungen Soldaten, die an der Front kämpften, ihr Leben verloren oder zumindest ihr Leben für immer ruiniert sahen.
So erschien 1928 in der Vossischen Zeitung Im Westen nichts Neues zum ersten Mal in Fortsetzungen. Erich Maria Remarque war noch ein nahezu unbekannter Autor. Doch 1929 erschien das Buch endlich in voller Länge und feierte sofort einen ungeahnten Erfolg: 910.000 Kopien wurden allein in Deutschland verkauft und der Roman wurde in nicht weniger als achtundzwanzig Sprachen übersetzt. Endlich gab es ein Bild des Krieges aus der Sicht von Menschen, die ihn selbst an der Front erlebt hatten. Erich Maria Remarque war selbst tief geprägt von dem, was er während des Ersten Weltkriegs erlebt hatte. Der Krieg wurde hier als ein Ereignis gesehen, das nur dazu diente, die Mächtigen zu bereichern.
Wie man sich vorstellen kann, löste die Veröffentlichung von Im Westen nichts Neues sofort zahlreiche Debatten aus, in denen sich vor allem die Rechten (die den Roman für unehrlich hielten) und die Linken (die sich dagegen gegen jegliche Kriege aussprachen) gegenüberstanden. Diese Debatten wurden noch verschärft, als Lewis Milestone 1930 Im Westen nichts Neues drehte. Im Mai 1930 wurde der Film in den USA uraufgeführt, während er in Deutschland und Österreich erstmals im Dezember desselben Jahres gezeigt werden sollte. Die Dinge nahmen jedoch eine unerwartete Wendung.
In Deutschland begannen bereits am 11. Dezember zahlreiche Sympathisanten der Nationalsozialistischen Partei in den Straßen von Berlin zu protestieren und beschädigten zahlreiche Gebäude, Schaufenster und Geschäfte. Nach diesen Ereignissen wurde beschlossen, den Film am 13. Dezember zu verbieten – zum Schutz der öffentlichen Sicherheit.
Nach diesen Ereignissen wurde in Österreich die Premiere von Im Westen nichts Neues für den Januar 1931 angesetzt. Doch auch hier gab es zahlreiche Proteste der Rechten, woraufhin auch ein Verbot des Films erwogen wurde, auch als Zeichen der Solidarität mit den Geschehnissen in Deutschland. Nach einer Vorführung für ein ausgewähltes Publikum, zu dem auch der damalige Wiener Bürgermeister Karl Seitz, Minister und Journalisten gehörten, wurde jedoch in Anbetracht der möglichen Risiken beschlossen, dass die Premiere des Films am 3. Januar 1931 um 23 Uhr im Apollo Kino in Wien stattfinden sollte. Doch auch hier passierte etwas Unerwartetes.
Während viele Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei zahlreiche Karten für die Vorstellung gekauft hatten, protestierten die Nationalsozialisten bereits seit mehreren Tagen mit Zeitungsartikeln und Plakaten, auf denen oft auch antisemitische Äußerungen zu lesen waren. Am Abend der Premiere geschah das Unvorstellbare: In den Straßen in der Umgebung des Kinos kam es zu schweren Zusammenstößen zwischen den Demonstranten und der Polizei, zahlreiche Geschäfte und Cafés wurden beschädigt, und in unmittelbarer Nähe des Apollo-Kinos wurde Tränengas geworfen. Als ob dies noch nicht genug wäre, versuchten die Nationalsozialisten am 6. Januar, einen Brand im Schwedenkino zu legen, wo am nächsten Tag eine Vorführung von Im Westen nichts Neues stattfinden sollte. Zu diesem Zeitpunkt war die Situation bereits außer Kontrolle geraten.
Aufgrund dieser Ereignisse kam die Idee auf, den Film zum Schutz der öffentlichen Sicherheit zu verbieten, wie es in Deutschland geschehen war, oder ihn zumindest zu zensieren. Bürgermeister Seitz, ein Sozialdemokrat, war dagegen, aber schließlich kam es nicht sofort zu einer solch drastischen Lösung: Die Städte Linz und Bregenz beschlossen, den Film zu verbieten, während Wien zunächst versuchte, „Widerstand“ zu leisten, bevor es ebenfalls beschloss, alle geplanten Vorführungen abzusagen. Doch dann geschah etwas Unerwartetes: Neben den Protesten der Nationalsozialisten kauften Tausende von Wienern, die die pazifistischen Absichten des Films und des Romans verstanden hatten, ebenso viele Kinokarten, um Im Westen nichts Neues in Pressburg zu sehen, wo der Spielfilm noch lief. Endlich war etwas Neues passiert. Endlich hatte man erkannt, wie schlimm Kriege sein können. (Auch) dank des Kinos war das möglich. Das reichte aber nicht aus, um wenige Jahre später einen weiteren, noch dramatischeren Weltkrieg zu verhindern.