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INTERVIEW MIT SEBASTIAN HÖGLINGER UND PETER SCHERNHUBER

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Anlässlich der Diagonale’23 hatte Cinema Austriaco die Gelegenheit, Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber zu treffen, die das Festival des österreichischen Films seit 2016 leiten und ihre Aufgabe ab Juni 2023 an Claudia Slanar und Dominik Kamalzadeh übergeben werden. Herausgegeben von Marina Pavido.

Marina Pavido: Dies wird eure letzte Diagonale als Festivalleiter sein. Wie hat sich das Festival in diesen acht Jahren verändert?

Sebastian Höglinger: Ich denke, dass die Diagonale einerseits wieder so ist, wie sie eigentlich immer auch war, nämlich sehr verwurzelt in Graz. Es gab immer sehr starke Vernetzungen mit lokalen Institutionen, auch außerhalb der Filmszene, also zum Beispiel auch mit dem Schauspielhaus oder dem Musikverein. Es gab eigentlich kaum Orte hier in Graz, die nicht in das Festival involviert waren. Ich erinnere mich zum Beispiel an die Theaterinszenierung von Ludwig Wüst im Schauspielhaus, die natürlich auch für uns ein Highlight war, und ich glaube, wir haben es geschafft, ein junges Publikum für die Diagonale zu begeistern. Und natürlich ist Graz immer noch ein sehr guter Austragungsort, es ist eine Universitätsstadt und so weiter. Aber trotzdem muss man sagen, dass die Entwicklung nicht linear zu betrachten ist, weil durch die Pandemie lange Zeit die Prioritäten anders gesetzt wurden. Aber tatsächlich ist diese Verbindung zwischen dem Publikum, dem Festival und Graz auch heuer wieder sehr stark.

Peter Schernhuber: Generell kann man vielleicht sagen, dass wir heute ganz anders Filme ansehen als noch vor acht Jahren. Wir haben auch gemerkt, dass zum Beispiel manche Filme in Graz erst zu einem späteren Zeitpunkt gezeigt werden können, weil sie andere Auswertungszyklen haben, während andere Filme gleich zu Streaming-Partnern gehen, also diese globalen Entwicklungen sind natürlich auch bei der Diagonale spürbar.

M.P.: Wie reagiert das junge und ältere Publikum normalerweise auf das Festival?

P. S.: Das Spannende ist, dass im Filmbereich, wo man sagen könnte, dass es nicht mehr den Mainstream oder so etwas gibt, sondern eine Vielzahl an Nischen, die parallel existiert, das Publikum sehr flexibel ist. Vor allem das Diagonale-Publikum schaut sich an einem Abend ein Kurzfilmprogramm an, am nächsten Tag vielleicht die Premiere eines Spielfilms, dann schaut es sich Experimentalfilme an und zu Hause vielleicht Filme auf Netflix, es gibt also eine große Gleichzeitigkeit beim Filmeschauen.

M.P.: Während der Pandemie haben wir uns viele Filme von zu Hause aus angeschaut. Ist euch aber aufgefallen, dass das Publikum das Kinosaal braucht?

S. H.: Gerade im Hinblick auf das Festival glaube ich das schon, denn schließlich geht es darum, Begegnungen zu schaffen, Diskussionen auszulösen und vor allem die Begegnung zwischen Filmschaffenden und Publikum ist einfach ein wesentlicher Aspekt des Festivals. Wir haben gemerkt, dass die Alternative des Online-Festivals während des Lockdowns kurzfristig sehr gut funktioniert hat, aber dann kam diese Sehnsucht, wieder aufeinander zu treffen und Erfahrungen und Gefühle zu teilen, sehr schnell zurück. Im Regelkinobetrieb hat sich die Situation noch nicht ganz wieder dorthin entwickelt, wo sie einmal war, aber beim Festival bedeutet das natürlich eine ganz andere Rezeption von Film und dieser Kunstform.

M.P. Wie wichtig ist es, dass es immer wieder Filmfestivals in der ganzen Welt gibt?

S. H.: Ich denke, dass Festivals heute eine der Ausnahmezustand im Kino sind sind, und das bedeutet auch, dass man dort Sachen machen kann, die im Regelkinobetrieb nicht mehr möglich sind. Ich denke, dass es sich ein reguläres Kino kaum leisten kann, zum Beispiel historische Filme zu zeigen oder Filme einzubringen, die einfach sehr teuer sind. Gleichzeitig, wenn man an das aktuelle Programm denkt, haben es Filmformen wie Experimentalfilm oder Kurzfilm im Allgemeinen im regulären Kino wahnsinnig schwer. Natürlich muss man ein bisschen aufpassen, weil es heute viele Festivals gibt und es gibt ein Eigenleben dieses Festivalzirkus, Publikumsschichten, Branchenleute, Presseleute, die von einem Festival zum anderen tingeln. Für uns ist es aber sehr wichtig, dass die Diagonale immer eine regionale Realität bleibt und nicht einfach zu einer Art Wanderzirkus wird.

M.P. Der österreichische Film war in den letzten Jahren sehr erfolgreich, auch auf internationalen Festivals. Was unterscheidet diese Filmografie von dem, was im Rest der Welt gemacht wird?

S. H.: Ich glaube, man muss immer ein bisschen aufpassen mit diesem Blick von außen auf das österreichische Kino, dass man nicht allzu romantisch ist, denn natürlich gibt es hier eine Vielzahl von Spielformen und wir sprechen nicht immer vom klassischen Festivalkino, wie wir es kennen. Aber tatsächlich hat der österreichische Film einen gewissen Mut, vielleicht auch in dem Sinne, dass es hier bereits ein gut etabliertes und relativ gut funktionierendes Fördersystem gibt, das auch experimentellere Zugänge zulässt. Ich denke, dass das österreichische Kino, international betrachtet, wahrscheinlich deshalb so stark ist, weil es ein Kino ist, das sich nicht scheut, zu experimentieren. Selbst in seinen tragischsten Ausformungen gibt es meist noch eine gewisse Fallhöhe und gewisse Momente der Spitze oder Skurrilität. Ich würde sagen, das ist für mich ein Aspekt, der in fast allen österreichischen Filmen zu finden ist. Aber das kann man natürlich nicht von allen Filmen sagen. Aber wenn man schon ansetzt, um es irgendwie wichtig zu charakterisieren, wäre das vielleicht ein Versuch.

M.P.: Sprechen wir mal ein wenig über eure Karriere. Ihr habt das Youki Film Festival gegründet. Was sind die größten Schwierigkeiten, wenn man ein solches Projekt in Österreich starten will?

P. S.: Zunächst gab es 1998 in Wels ein europäisches Filmfestival namens KINOVA, das einen Versuch darstellte, Wels als Filmfestivalstadt zu etablieren. Bereits in den 1980er und 1990er Jahren hatten in Wels die Österreichischen Filmtage stattgefunden. Im Rahmen dieses europäischen Filmfestivals gab es eine Jugendsektion für Student:innen, mit dem Unterschied, dass nicht Filme für ein junges Publikum gezeigt wurden, sondern Filme von jungen Leuten. Das war sehr wichtig. Das große Festival konnte aus Budget- und aus politischen Gründen nicht mehr umgesetzt werden. Das Jugendfestival hingegen blieb, und daraus entstand das Youki Film Festival, dessen Gründer und langjähriger Leiter Hans Schoiswohl war. Er hatte die Gabe, junge Menschen zu inspirieren und zu fördern, und ich war einer dieser jungen Menschen. Leider starb er zu früh, und es war nicht klar, wie Youki weitergeführt werden konnte. Glücklicherweise beschloss die Stadtpolitik – und das war ein sehr mutiger Schritt -, die Aufgabe den Jugendlichen selbst anzuvertrauen. Dann kam Sebastian dazu, und wir durften das Youki von 2009 bis 2014 leiten, wobei wir es sogar ein bisschen verändert haben, denn Musik, Popkultur, Begegnungen und Debatten waren uns sehr wichtig. Wir sind ein bisschen abgerückt vom klassischen Filmfestival für Jugendliche und Kinder hin zu einem Jugendmedienfestival, wie es ja auch heute noch ist.

M.P.: Wie kam es zu eurer Zusammenarbeit mit der Diagonale?

S. H.: Wir haben beide als Praktikanten hier angefangen, hatten aber schon bei anderen Festivals gearbeitet, unter anderem bei Crossing Europe, das für uns beide der Startpunkt war, und uns wurde klar, dass wir uns für die Festivalarbeit interessieren. So kamen wir zur Diagonale und fingen an, in verschiedenen Bereichen zu arbeiten: Presseabteilung, Gästeabteilung, Katalogerstellung, Programmberatung, usw. Wir haben fast alles miterlebt, und als die Ausschreibung kam, haben wir beschlossen, einfach zu zeigen, dass es eine jüngere Generation gibt, die auch über Festival Strukturen und Festivalmanagement nachdenkt. Wir haben unsere Lebensläufe deponiert und dann kam es, wie es gekommen ist. Dann kam der überraschende Anruf.

M.P.: Welchen Rat würdet ihr jemandem geben, der in Zukunft ein Filmfestival leiten oder gründen möchte?

P. S.: Ich glaube, das Wichtigste ist einfach die Begeisterung für die Inhalte und – das mag ein bisschen eitel oder sozialromantisch klingen – auch der Wille, von unten zu beginnen. Das Schöne an unserer Erfahrung bei Youki ist, dass wir nicht nur das Festival geleitet haben, sondern auch auf Leitern gestanden sind, Scheinwerfer aufgehängt haben, wenn es abends ein Konzert gab, und solche Dinge. Es hat uns sehr geholfen zu lernen, wie man ein Festival von unten leitet. Wir haben viel von anderen Leuten und Kollegen gelernt, vor allem von älteren Kollegen, als die Filmreihen und Programme gemacht wurden, als es viel Euphorie und inhaltliche Kompetenz gab. Ein Festival sollte nicht als Selbstzweck, mit rein ökonomischen Zielen, sondern mit Inhalten, Begeisterung, Euphorie gegründet werden. So ist man bereit, bestimmte Situationen von Anfang an zu akzeptieren.

M.P.: Gibt es Filme oder Regisseur:innen, die für euch besonders bedeutend gewesen sind?

S. H.: Da fallen mir Namen ein wie Kurdwin Ayub, die wir in Wels mitbegleiten durften und die mit der Diagonale mitgegangen sind bis hin zum Eröffnungsfilm. Es war besonders schön, eine ganze Karriere zu beobachten, zu begleiten und natürlich auch in bestimmten Phasen zu befeuern. Dann gibt es auch im experimentellen und Pop-Bereich Namen wie Viktoria Schmid, die wir auch bei Youki eingeladen haben und mit der wir bei der Diagonale 2015 ein Projekt gestartet haben, noch bevor wir das erste Festival geleitet haben. Wir folgen auch schon lange der Karriere von Siegfried A. Fruhauf, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

P. S.: Und natürlich gibt es auch Filme von Regisseur:innen, von denen wir einfach Fans sind, wie Ruth Beckermann oder Tizza Covi und Rainer Frimmel. Sebastian erwähnt zum Beispiel oft den Film Himmel oder Hölle von Wolfgang Murnberger. Murnbergers Karriere entwickelte sich dann ganz anders, er ist mehr ins Fernsehen gegangen, aber Himmel oder Hölle ist eine seiner frühesten Arbeiten und für uns immer noch eine der schönsten.

M.P. Was sind eure nächsten Projekte nach der Diagonale?

S. H.: Das wissen wir noch nicht, wir werden sehen, welche Möglichkeiten sich uns bieten werden.

M.P.: Drei Adjektive, die eure persönliche Erfahrung mit der Diagonale beschreiben könnten?

S. H.: Fordernd.

P. S.: Euphorisierend.

S. H.: Irritierend (lacht)

P. S.: Ich denke, es war fordernd wegen der großartigen Arbeit, die zu leisten war, euphorisierend wegen des Enthusiasmus und der Leidenschaft für die Arbeit, aber manchmal auch total irritierend, wenn man das Festival zwei Wochen vor Beginn absagen muss. In diesem Fall ist es definitiv irritierend.

S. H.: Irritierend ist für mich jedoch nicht immer negativ gemeint.

Info: Die Webseite der Diagonale