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DE FACTO

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von Selma Doborac

Note: 7.5

In De Facto braucht es keine komplexen Szenenbilder, kein Archivmaterial, nicht viele Schauspieler oder die Nachstellung bestimmter historischer Ereignisse am Set. Im Gegenteil, die Regisseurin konzentriert sich auf das Wesentliche und entscheidet sich für eine gut durchdachte und stark minimalistische Inszenierung, die dennoch ihre Absichten perfekt erfüllt. Auf der Berlinale 2023.

Die Vergangenheit ist immer präsent

Kann man jemals aus der Geschichte lernen? Wird der Mensch jemals in der Lage sein, die komplexen Prozesse, die zu den unverzeihlichen Gewalttaten der vergangenen Jahre geführt haben, zu verstehen? „Die Musik verändert sich und bleibt gleichzeitig dieselbe“. In ihrem Dokumentarfilm De Facto, der auf der Berlinale 2023 in der Sektion Forum seine Weltpremiere feierte, stellt die Regisseurin Selma Doborac diese komplexen Fragen sowie eine tiefgreifende historische und gesellschaftliche Analyse in den Vordergrund.

In De Facto braucht es keine komplexen Szenenbilder, kein Archivmaterial, nicht viele Schauspieler oder die Nachstellung bestimmter historischer Ereignisse am Set. Im Gegenteil, die Regisseurin konzentriert sich auf das Wesentliche und entscheidet sich für eine gut durchdachte und stark minimalistische Inszenierung, die dennoch ihre Absichten perfekt erfüllt.

Wir befinden uns also in einem Pavillon in einem Park. Zwei Schauspieler – Christoph Bach und Cornelius Obonya – sitzen an einem Tisch (den der Künstler Heimo Zobernig für diesen Anlass konzipiert hat). Texte aus Interviews, aus Zeugenaussagen bei bestimmten Prozessen, aber auch aus philosophischen Essays werden mal von dem einen, mal von dem anderen Darsteller rezitiert. Geschichte, Gewalt, wichtige Staatsverbrechen, die Worte derer, die diese Gewalt erlitten haben, aber auch die Sichtweise der „Täter“ werden so auf der Leinwand lebendig und pulsierend.

De Facto zeichnet sich also vor allem durch die Präzision seiner Inszenierung aus. Den Schauspielern sind jeweils drei Plansequenzen gewidmet. Die Kamera ist ständig statisch. Die Worte folgen schnell aufeinander und werden nur von Zeit zu Zeit durch kurze Pausen, in denen die Leinwand komplett schwarz wird, unterbrochen. Auf diese Weise werden sie jedoch sofort zu den absoluten Protagonisten und können manchmal wirklich weh tun. Ein Regieansatz, der zunächst einfach wirkt, aber gleichzeitig auf jedes einzelne Detail achtet. Die Perspektiven, aus denen die Schauspieler gefilmt werden, sind für jeden von ihnen praktisch gleich, nach einer präzisen elliptischen Struktur geschnitten. Die Musik (von Didi Kern und Philipp Quehenberger) findet erst in der letzten Einstellung ihren Platz, wenn wir den Pavillon, in dem sich alles abspielt, sehen. Am Abend werden die Figuren immer dunkler, während die Tischoberfläche sie getreu widerspiegelt und damit auf die ewige Dualität der menschlichen Seele verweist.

In De Facto wird der Mensch in den Vordergrund gestellt. Niemand ist wirklich unschuldig und bestimmte Ereignisse, bestimmte Diktatoren, bestimmte Gewalttaten waren nur nach einem langen Prozess, für den wir alle verantwortlich sind, möglich. Die Botschaft ist klar und deutlich. Die Inszenierung ist richtig gewählt. De Facto ist ein intimer Dialog zwischen den Schauspielern und den Zuschauern. Keiner der Schauspieler blickt direkt in die Kamera, und trotzdem fühlt sich das Publikum sofort persönlich involviert. Die Geschichte wiederholt sich und scheint dazu bestimmt zu sein, dies noch viele Jahre lang zu tun. Werden sich die Dinge jemals ändern? Wird es endlich möglich sein, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen? Selma Doborac scheint, keine Zweifel daran zu haben, und in diesem wichtigen De Facto wirkt sie klarsichtiger denn je.

Titel: De Facto
Regie: Selma Doborac
Land/Jahr: Österreich, Deutschland / 2023
Laufzeit: 130’
Genre: Dokumentarfilm
Cast: Christoph Bach, Cornelius Obonya
Buch: Selma Doborac
Kamera: Klemens Hufnagl
Produktion: Selma Doborac

Info: Die Seite von De Facto auf der Webseite der Berlinale; Die Seite von De Facto auf iMDb; Die Seite von De Facto auf der Webseite der sixpackfilm