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Die Nouvelle Vague Viennoise entstand gegen Ende der 1990er Jahre. Ein Regieansatz auf halbem Weg zwischen Dokumentar- und Spielfilm zeigt uns die Wiener Vorstädte oft als Ort der Entfremdung. Ein starker Realismus steht im Mittelpunkt, zusammen mit einer sorgfältigen und nie banalen Charakterisierung der Figuren.
Neue junge ProtagonistInnen
Wenn man über den zeitgenössischen österreichischen Film spricht, stößt man oft auf den Begriff Nouvelle Vague Viennoise. Wie für viele Filmbewegungen im Ausland (man denke nur an die berühmte französische Nouvelle Vague), so steht dieser Begriff auch in Österreich für einen neuen Weg des heimischen Films, für die Geburt nicht nur einer neuen Filmströmung, sondern einer neuen Art, Film zu begreifen, in der bestimmte Regeln der Vergangenheit oft kategorisch abgelehnt wurden. Um jedoch die Entstehung der Nouvelle Vague Viennoise zu verstehen, muss man zunächst einen Schritt in die Vergangenheit machen.
Viele, viele Jahre lang war der österreichische Film auf internationalen Filmfestivals praktisch nicht vertreten. „Schuld“ an Filmen, die ein wenig zu oft in die Vergangenheit blickten? „Schuld“ an der unzureichenden Finanzierung durch die nationalen Institutionen? Es gibt wohl viele Faktoren, die dazu geführt haben, dass die ganze Welt dem, was in Österreich gemacht wurde, lange Zeit keine besondere Aufmerksamkeit schenkte. Doch schon in den 1980er Jahren sollte sich alles ändern. Mit dem Gesetz zur Förderung des österreichischen Films und der Gründung des Österreichischen Filminstituts im Jahr 1981 wurde endlich die Bedeutung der Förderung und Unterstützung des heimischen Films anerkannt.
So begann bereits Ende der 1980er Jahre die Strömung des so genannten Neuen Österreichischen Films, in dem RegisseurInnen wie Michael Haneke, Ulrich Seidl, aber auch Peter Patzak, Michael Kreihsl und Stefan Ruzowitzky durch ihre oft „extremen“ und extrem realistischen Werke, in denen oft eine sorgfältige und desillusionierte Analyse der zeitgenössischen österreichischen Gesellschaft vorgenommen wurde, auch im Ausland von sich reden machten.
Die Nouvelle Vague Viennoise (wie sie der Journalist und Filmhistoriker Christian Cargnelli in einem Artikel in der Wochenzeitung Falter definierte) entstand also erst einige Jahre später, genauer gesagt gegen Ende der 1990er Jahre. In diesen Jahren wurden an der Filmakademie Wien jene Absolventen ausgebildet, die (neben den bereits erwähnten FilmemacherInnen) zu den bekanntesten Namen des zeitgenössischen österreichischen Films werden sollten: Barbara Albert, Jessica Hausner, Kathrin Resetarits, Mirjam Unger, aber auch Antonin Svoboda und Nikolaus Geyrhalter, um nur einige zu nennen.
Was haben all diese FilmemacherInnen gemeinsam? Ganz einfach: Auf der Grundlage der Werke ihrer VorgängerInnen und zahlreicher Einflüsse aus dem Ausland hat diese neue Generation von FilmemacherInnen die Geschichten junger ProtagonistInnen, die ständig mit der Welt um sie herum, mit der Gesellschaft und mit ihren Familien zu kämpfen haben, auf die Leinwand gebracht. ProtagonistInnen, für die der Übergang von der Kindheit zum Erwachsensein besonders kompliziert ist und die oft nicht wirklich verstanden werden, nicht einmal von denen, die mit ihnen leben.
1998 drehte Barbara Albert den Kurzfilm Sonnenflecken mit der jungen Nina Proll in der Titelrolle, der auf mehreren internationalen Festivals gut aufgenommen wurde. Ein Jahr später kam Nordrand zu den Filmfestspielen von Venedig, wo die Themen von Sonnenflecken wieder aufgegriffen wurden und wo Nina Proll den Mastroianni-Preis gewann. Zur gleichen Zeit machte auch ihre Kollegin Jessica Hausner mit den Kurzfilmen Flora (1995) und Inter-View (1999) von sich reden. Nur zwei Jahre später drehte sie Lovely Rita, ihren Debütfilm.
In vielen Filmen der Nouvelle Vague Viennoise finden wir fast immer weibliche Hauptfiguren, einsame junge Frauen, die ihren Platz in der Welt noch nicht gefunden haben. Ein Regieansatz zwischen Dokumentar- und Spielfilm zeigt uns die Wiener Vorstädte oft als Ort der Entfremdung. Ein starker Realismus steht im Mittelpunkt, zusammen mit einer sorgfältigen und nie banalen Charakterisierung der Figuren. Das (auch jüngere) Publikum scheint diesen neuen Trend im österreichischen Film zu schätzen. Wahrscheinlich erkennen sich die jungen Zuschauer in den ProtagonistInnen dieser innovativen Coming-of-Age-Filme perfekt wieder. Die FIlmakademie Wien war noch nie so reich an jungen Talenten und erwies sich als idealer Ort für den Austausch von Ideen und die Schaffung neuer, spannender Kooperationen (nicht zu vergessen, dass alle diese jungen RegisseurInne auch regelmäßig an den Filmen ihrer KollegInnen mitwirkten).
Doch die VertreterInn der Nouvelle Vague Viennoise hatten anfangs, wie so oft, große Schwierigkeiten, ihre Filme zu finanzieren. Der Erfolg außerhalb der Landesgrenzen half ihnen jedoch, und bald gründeten viele von ihnen sogar ihre eigenen Produktionsfirmen (darunter die berühmte Coop99 Filmproduktion, die 1999 von Barbara Albert, Jessica Hausner, Antonin Svoboda zusammen mit Kameramann Martin Gschlacht gegründet wurde, und die Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion, gegründet 2003).
Die Nouvelle Vague Viennoise ist auch heute noch eine sehr starke Strömung in Österreich. Auch heute noch lassen sich viele junge RegisseurInne und DrehbuchautorInnen von den eindrucksvollen Coming-of-Age-Filmen der vergangenen Jahre inspirieren. Realismus und Lyrik bilden weiterhin eine perfekte Harmonie. Man denke nur an die Werke von RegisseurInnen wie Katharina Mückstein (Talea, L’Animale), Monja Art (Siebzehn) oder Kurdwin Ayub (Sonne). Aber das ist natürlich eine andere Geschichte.