This post is also available in:
Italiano (Italienisch)
English (Englisch)
von Sabine Derflinger
Note: 7.5
Alice Schwarzer lässt uns keine Zeit zum Durchatmen. Eine Reihe von Archivaufnahmen, die Schwarzer bei der Arbeit oder in privaten Momenten bei FreundInnen zeigen, sowie zahlreiche Interviews mit Menschen, die die Gelegenheit hatten, mit ihr zu arbeiten oder sie zumindest näher kennenzulernen, ergeben ein umfassendes und farbenfrohes Porträt der berühmten deutschen Aktivistin.
Lebendige Feministin
Eine Persönlichkeit, über die viel gesprochen wurde, die deutsche Journalistin, Schriftstellerin und Aktivistin Alice Schwarzer. Bekannt für ihren starken und provokanten Charakter sowie ihren ausgeprägten Feminismus, stand Schwarzer im Laufe ihres Lebens und ihrer angesehenen Karriere oft im Mittelpunkt zahlreicher Debatten. Die österreichische Regisseurin Sabine Derflinger hat sich daher auf ihre charismatische Figur konzentriert und den Dokumentarfilm Alice Schwarzer gedreht, der kürzlich auf der Diagonale 2022 als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde.
Sabine Derflinger hat sich schon immer für Frauenfiguren interessiert, die sich in der jüngeren Geschichte mit aller Kraft dafür eingesetzt haben, dass die Rechte der Frauen endlich weltweit anerkannt und den Rechten der Männer gleichgestellt wurden. Man denke nur an ihren vorletzten Dokumentarfilm Die Dohnal, der 2019 gedreht wurde und sich mit dem Leben und der Karriere der ersten Ministerin in der österreichischen Geschichte beschäftigt. Mit Alice Schwarzer ist die Filmemacherin also von Österreich nach Deutschland umgezogen, wobei sie einen ähnlichen Blick und eine ähnliche Herangehensweise wie in ihrem vorherigen Dokumentarfilm beibehalten hat.
Die Journalistin Alice Schwarzer stritt sich 1975 während einer Fernsehsendung erbittert mit der Schriftstellerin Esther Vilar. Vilar hatte gerade ihr Buch The trained Man veröffentlicht, in dem sie sich offen gegen jede Frauenemanzipationsbewegung aussprach. Schwarzer warf ihr vor, engstirnig und rückschrittlich zu sein und eine gefährlich faschistische Mentalität zu haben. Mit dieser spannenden Szene beginnt der Dokumentarfilm von Sabine Derflinger und man merkt sofort, dass der Film fast wie eine Achterbahnfahrt sein wird.
Ja, denn Alice Schwarzer lässt uns eigentlich nie Zeit zum Durchatmen. Eine Reihe von Archivaufnahmen, die Schwarzer bei der Arbeit oder in privaten Momenten bei FreundInnen zeigen, aber auch zahlreiche Interviews mit Menschen, die die Gelegenheit hatten, mit ihr zu arbeiten oder sie jedenfalls näher kennenzulernen (in erster Linie ihre Frau Bettina Flitner), ergeben ein umfassendes und farbenfrohes Porträt der berühmten deutschen Aktivistin. Sabine Derflinger hat sich auf verschiedene Aspekte ihres Lebens und ihrer Karriere konzentriert und dabei geschickt jede Rhetorik vermieden, aber gleichzeitig einen ausgesprochen „überraschenden“ Film gedreht, bei dem man nie wirklich weiß, was man erwarten soll.
Alice Schwarzer zeichnet sich durch einen präzisen Schnitt aus, durch mitreißende Musik, durch die Fähigkeit, wichtige Themen zu behandeln und uns gleichzeitig leichtere und lustigere Momente zu schenken, vor allem dank der zahlreichen Paradoxien, die sich aus den Gesprächen zwischen der Protagonistin und den Persönlichkeiten, die sie trifft, ergeben. Wieder einmal hat Sabine Derflinger ein lebendiges und pulsierendes Porträt einer Persönlichkeit geschaffen, die so viel dafür getan hat (und immer noch tut), dass die Rechte der Frauen so anerkannt werden, wie sie es verdienen. Es ist (fast) immer Zeit, sich Gehör zu verschaffen. Wichtig ist, dass man sich von Zeit zu Zeit ein paar entspannende Momente gönnt, um mit vielen bunten Luftballons zu spielen.
Titel: Alice Schwarzer
Regie: Sabine Derflinger
Land/Jahr: Österreich, Deutschland / 2022
Laufzeit: 100’
Genre: Dokumentarfilm
Buch: Sabine Derflinger
Kamera: Christine A. Maier
Produktion: Derflinger Film, Mizzi Stock Entertainment