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INTERVIEW MIT RUTH BECKERMANN

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Im Jahr 1906 schrieb Josefine Mutzenbacher den erotischen Roman „Josefine Mutzenbacher: oder Die Geschichte einer Wienerischen Dirne von ihr selbst erzählt“, der damals für einen Skandal sorgte. Die Regisseurin Ruth Beckermann beschloss, mehr als hundert Jahre später zu untersuchen, was die heutigen Männer von diesem Roman halten. So entstand der Dokumentarfilm MUTZENBACHER, der auf der Berlinale 2022 als Bester Film in der Sektion Encounters ausgezeichnet und auf der Viennale 2022 in Österreich uraufgeführt wurde. Cinema Austriaco hatte die Gelegenheit, sich mit ihr zu unterhalten und mehr über ihr Werk zu erfahren. Herausgegeben von Marina Pavido.

Marina Pavido: Wann haben Sie zum ersten Mal von dem Buch von Josefine Mutzenbacher gehört?

Ruth Beckermann: Ich war noch ein Kind. Als Kinder waren wir immer auf der Suche nach Informationen über Sexualität, und damals lasen wir hauptsächlich Bücher, denn das Internet existierte noch nicht. Und irgendwie konnte man dieses Buch immer irgendwo zu Hause versteckt finden.

M. P.: Wieso haben Sie sich entschieden, Ihrem Film diese besondere Struktur zu geben?

R. B.: Mich hat besonders interessiert, wie die Menschen auf dieses 1906 geschriebene Buch heute reagieren. Ich wollte auch sehen, was sich geändert hat und was gleich geblieben ist. Ich habe viel recherchiert, sowohl in Büchern als auch in Zeitungen, und auch mit einigen Prostituierten gesprochen. Am Ende habe ich mich dann für eine sehr einfache Struktur entschieden, ich habe eine Anzeige veröffentlicht und einige der Männer, die sich gemeldet hatten, zu einem Casting eingeladen. Ich habe diese sehr einfache Struktur bevorzugt, einen Mann nach dem anderen anzurufen, ihn auf der Couch sitzen zu lassen, ihn einen Text aus dem Buch lesen zu lassen, ihn über sich selbst, das Buch, Frauen, Sexualität usw. sprechen zu lassen. Das Buch ist also eine Art Trigger, der Anlass für alles Weitere gibt.

M. P.: Warum haben Sie sich entschieden, nur eine Couch am Set zu verwenden?

R. B.: Eine Couch löst viele Assoziationen aus. Es kann eine Erotikcouch, eine Castingcouch oder einfach eine Couch zum Entspannen sein. Und dann finde ich diese Couch besonders schön: Rosa, mit diesen Blümchen, nicht zu modern. In der Fabrik, in der wir gedreht haben, haben wir beschlossen, eine besonders entspannende Atmosphäre für die Männer zu schaffen. Und diese gemütliche Couch bildete einen starken Kontrast zu den kalten, leeren Wänden der Fabrik, und das hat mir besonders gut gefallen.

M. P.: Was war am schwierigsten während der Dreharbeiten?

R. B.: Ich hatte beschlossen, die Männer vor den Dreharbeiten nicht persönlich zu treffen. Ich habe sie direkt gesehen, als sie hereinkamen, und es war besonders herausfordernd, in so kurzer Zeit ein Vertrauensverhältnis zu ihnen aufzubauen. Einerseits war es natürlich spannend, und es ist ein Ansatz, den ich von Anfang an gewählt hatte, aber gleichzeitig war es auch anstrengend.

M. P.: Das Buch von Josefine Mutzenbacher ist vor kurzem neu veröffentlicht worden, und Ihr Film wird bald in die Kinos kommen. Wie würden Ihrer Meinung nach die Leser oder die Zuschauer heute reagieren?

R. B.: MUTZENBACHER wurde schon auf vielen Festivals eingeladen und bei einigen war ich auch dabei. Ich war auch bei der Premiere auf der Viennale dabei, und die Reaktion des Publikums war außergewöhnlich: Die Leute haben gelacht, aber auch nach der Vorführung lange über den Film gesprochen. Es war eine gute Gelegenheit, auch über ganz wichtige Themen zu diskutieren.

M. P.: Das Thema des Films und des Buches ist auch heute noch sehr aktuell. Könnte man fast von einer politischen Handlung sprechen, wenn man einen Film macht?

R. B.: Filme machen ist natürlich auch Politik machen. Und in diesem Fall ist es nicht nur interessant, den Standpunkt der Männer zu dem Roman über Josefine Mutzenbacher zu hören, sondern es ist auch sehr interessant, dass Frauen im Film, in Büchern, aber auch in jeder anderen künstlerischen Ausdrucksform ihrerseits Porträts von Männern schaffen können.

M. P.: Eine letzte Frage: Arbeiten Sie derzeit an neuen Projekten?

R. B.: Ja! In diesem Fall handelt es sich um einen klassischen Dokumentarfilm. Ein Dokumentarfilm, in dem ich die Menschen beobachte. Aber mehr will ich im Moment nicht sagen! (lacht)

Info: Die Webseite von Ruth Beckermann; Die Seite von Ruth Beckermann auf iMDb