This post is also available in:
Italiano (Italienisch)
English (Englisch)
von Gerhard Benedikt Friedl
Note: 7.5
In Knittelfeld – Stadt ohne Geschichte finden wir eine interessante Mischung aus Realität und Fiktion, die symbolisch für die vielen Verbrechen steht, die tagtäglich in Realitäten begangen werden, in denen Ordnung und Ruhe zu herrschen scheinen. Auf der Viennale 2022, Sektion Österreich real.
Scheinbare Ruhe
Die Vorstädte als Wiege des Grauens. Wie oft haben wir von einer solchen Realität gehört? Dabei ist es in der österreichischen Filmgeschichte erst wenige Jahre her, dass die Vorstadt als Schauplatz vieler möglicher Tragödien betrachtet worden ist. Verantwortlich für diesen Trend sind vor allem zahlreiche Ereignisse, aber auch der starke Wunsch, dem Publikum Geschichten zu präsentieren, die viel realistischer sind als in der Vergangenheit. Der Dokumentarfilm Knittelfeld – Stadt ohne Geschichte von Gerhard Bendikt Friedl aus dem Jahr 1997, der auf der Viennale 2022 im Rahmen der vom Filmarchiv Austria organisierten Retrospektive Österreich real erneut dem Publikum vorgestellt wurde, ist ein interessantes Beispiel dafür.
Knittelfeld ist also eine kleine steirische Stadt, in der das Leben ruhig und ohne besondere Ereignisse, die den normalen Alltag stören könnten, zu verlaufen scheint. Aber wird dies wirklich der Fall sein? Der Regisseur erzählt uns die Geschichte der Familie Pritz. Eine, gelinde gesagt, problematische Familie, deren Mitglieder im Laufe der Jahre schwere, sehr schwere Verbrechen begangen haben. Zwei der Pritz-Brüder töteten einen jungen Soldaten vor einer Kneipe. Ein anderer ihrer Brüder schoss zusammen mit einem Freund durch das Fenster Gewehrschüsse ab. Ihre Mutter hat ihren Mann vergiftet und auch ihre Schwester ist zusammen mit ihrem Mann am Tod ihres Kindes schuldig.
In Knittelfeld – Stadt ohne Geschichte finden wir eine gute Mischung aus Realität und Fiktion, die emblematisch für die vielen Verbrechen ist, die jeden Tag in einer Realität begangen werden, in der Ordnung und Ruhe zu herrschen scheinen. Die Geschichte der Familie Pritz, die auf wahren Begebenheiten basiert, wird uns hier fast in Form einer Telenovela präsentiert, wobei jedes Familienmitglied seine eigene schreckliche Geschichte hat. Und was passiert in der Zwischenzeit in der Stadt?
Während die Stimme von Matthias Hirth die Ereignisse erzählt, zeigt uns die Kamera des Regisseurs (und Kameramanns Rudolf Barmettler) die verschiedenen Stadtteile, Straßen, Schulen, Kneipen, Baustellen und sogar den Militärflughafen. Mit wenigen einfachen Kamerafahrten und Panoramaaufnahmen und ganz ohne Musik sehen wir, was in Knittelfeld jeden Tag passiert. Krankenwagen, die Feuerwache, aber auch einfache Ampeln scheinen eine gewisse Ordnung in der Stadt hergestellt zu haben. Dennoch stehen die Bilder in starkem Kontrast zu den Worten. Knittelfeld – Stadt ohne Geschichte spielt vor allem mit diesem starken Kontrast. Der Kontrast zwischen scheinbarer Ruhe und Tragödie.
Doch trotz des spezifischen Fokus auf die Kleinstadt Knittelfeld will uns dieser interessante kleine Dokumentarfilm von Friedl keineswegs die Geschichte einer bestimmten Stadt erzählen. Knittelfeld – Stadt ohne Geschichte ist ein Bild dessen, was in vielen Realitäten wie Knittelfeld passiert, passiert ist oder passieren kann. Realitäten, in denen es aufgrund der scheinbaren Ruhe des Alltags fast unvorstellbar ist, dass solche Verbrechen geschehen können. Realitäten, die jeder tagtäglich erlebt. Und durch einen gekonnten, minimalistischen Ansatz kommt die Botschaft laut und deutlich an.
Titel: Knittelfeld – Stadt ohne Geschichte
Regie: Gerhard Benedikt Friedl
Land/Jahr: Deutschland, Österreich / 1997
Laufzeit: 35’
Genre: Dokumentarfilm
Buch: Gerhard Benedikt Friedl
Kamera: Rudolf Barmettler
Produktion: Hochschule für Fernsehen und Film München