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von David Wagner
Note: 8
Obwohl Eismayer ein Spielfilmdebüt ist, zeichnet er sich in erster Linie durch eine große filmische Reife und eine nie vorhersehbare Fähigkeit, in die menschliche Seele einzudringen, aus, indem er es schafft, jede subtile Nuance der Persönlichkeiten der Protagonisten einzufangen. Auf den 79. Filmfestspielen von Venedig, Sektion Settimana della Critica.
Geheimnisse
Es gibt Realitäten, die bis vor einigen Jahren leider kaum akzeptiert wurden. Realitäten, die oft im Verborgenen blieben, aber nach Jahren endlich ans Licht gekommen sind. Besonders erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Geschichte von Vizeleutnant Charles Eismayer, der 2014 in Österreich für viele Schlagzeilen sorgte und als Inspiration für den Spielfilm Eismayer, inszeniert vom jungen Regisseur David Wagner und uraufgeführt bei den 79. Filmfestspielen von Venedig in der Sektion Settimana della Critica, diente.
Charles Eismayer (hervorragend gespielt von Gerhard Liebmann) bildet daher jedes Jahr eine große Anzahl von Rekruten aus. Er ist bekannt für seine Strenge und seine oft brutale und unnachgiebige Art. Seine mürrische Art dient ihm jedoch dazu, ein Geheimnis, das seine Karriere und seine Familie ruinieren könnte, für sich zu behalten: Er ist schwul. Als der junge Mario Falak (Luka Dimić) zu seiner Gruppe stößt, gerät er sofort mit ihm aneinander. Doch schon bald entwickelt sich eine viel tiefere Bindung zwischen den beiden. Welche Konsequenzen wird ihre Beziehung nach sich ziehen?
Das Leben von Charles Eismayer hat schon immer ein bestimmtes Drehbuch gefolgt. Der Verzicht auf das eigene Wesen und auf die eigene Identität kann jedoch schlimme Folgen nach sich ziehen. Es ist also kein Zufall, dass der Protagonist an einem Magenleiden erkrankt. Es ist auch kein Zufall, dass der Regisseur vor allem bei den Innenaufnahmen klugerweise dunkle Umgebungen und schwache Beleuchtung, die absichtlich ein tiefes Gefühl der Klaustrophobie vermitteln, gewählt hat. Ja, denn obwohl es sich bei Eismayer um ein Spielfilmdebüt handelt, zeugt er vor allem von einer großen filmischen Reife und einer nie vorhersehbaren Fähigkeit, die menschliche Seele zu erforschen, indem er es schafft, jede kleinste Nuance der Persönlichkeiten der Figuren einzufangen.
Die Kamera bewegt sich langsam durch einen leeren Innenhof. Schweigen. Dann, plötzlich, die Schreie des Protagonisten, der seinen jungen Rekruten Befehle erteilt. Alles in Eismayer ist extrem realistisch, nichts wird in irgendeiner Weise beschönigt oder romantisiert. Keiner der Charaktere wird uns als strahlender Held präsentiert, aber jeder von ihnen wirkt mit all seinen Fehlern, Geheimnissen und Schwächen menschlicher denn je. Gleichzeitig vermeidet David Wagner geschickt jede Rhetorik, indem er in erster Linie eine problematische, schwierige, fast unmögliche Liebesbeziehung inszeniert und dafür sorgt, dass Gegenstände, Blicke und intensive Großaufnahmen für sich selbst sprechen und uns mehr mitteilen, als es Worte könnten.
Es gibt einen bestimmten Moment in Eismayer, der besondere Aufmerksamkeit verdient. Der Moment, in dem der Protagonist, nachdem er seiner Frau offenbart hat, dass er schwul ist und sich von ihr getrennt hat, seinen Sohn im Park trifft. „Was ist falsch daran, einen Freund zu haben? Ich habe auch viele Freunde in der Schule. Wie heißt dein neuer Freund?“, fragt das Kind seinen Vater. Und oft ist es genau der klare Blick eines Kindes entscheidend für die eigene Lebenseinstellung und ein endlich glückliches Leben. In Eismayer hat David Wagner daher versucht, denselben klaren Blick beizubehalten. Dank dieses Ansatzes hat er einen ehrlichen und aufrichtigen Spielfilm geschaffen, in dem die magnetischen Protagonisten sofort lebendiger denn je scheinen.
Titel: Eismayer
Regie: David Wagner
Land/Jahr: Österreich / 2022
Laufzeit: 87’
Genre: Kriegsfilm, Drama
Cast: Gerhard Liebmann, Luka Dimic, Julia Koschitz, Anton Noori, Karl Fischer, Christopher Schärf, Lion Tatzber, Lukas Johne, Matthias Hack, Harry Lampl, Matthias Böhm, Thomas Momcinovic, Jagesberger Joshua, Paul Winkler, Thomas Otrok, Adriano Bonamore, Alexander Srtschin, Stan Steinbichler, Lloyd Lynch, Norbert Prammer, Rina Juniku, Roswitha Soukup, Johann Bednar, Friedrich Weissenbeck
Buch: David Wagner
Kamera: Serafin Spitzer
Produktion: Golden Girls Filmproduktion