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von Rainer Frimmel
Note: 7.5
In Aufzeichnungen aus dem Tiefparterre hat Rainer Frimmel eine Reihe von Filmen ausgewählt und bearbeitet, die der Krankenträger Peter Haindl zwischen 1993 und 1999 gedreht hat. Filme, in denen der Protagonist zunächst das Haus, in dem er lebt, zeigt und schließlich vor die Kamera tritt, um von seinem Alltag und seiner Einstellung gegenüber dem Leben und der Welt zu erzählen. So wie der Protagonist des berühmten Monologs Der Herr Karl, den Helmut Qualtinger und Carl Merz 1961 geschrieben haben.
Gestern wie heute
1961 erzählte ein seltsamer Feinkostmagazineur – der Herr Karl – dem Publikum von seinem Leben (vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg), seinen Ideen und seiner einzigartigen Weltanschauung. Diese Figur – ein absoluter Antiheld – ist heute ein echter Kult, dank des berühmten Theatermonologs von Helmut Qualtinger und Carl Merz – Der Herr Karl – in dem er der unvergessliche Protagonist ist, aber auch ein perfektes Beispiel für den kleinbürgerlichen und konservativen Wiener, das Ergebnis eines latenten Faschismus, der nie wirklich verschwunden ist. Herr Karl ist eine fiktive Figur, aber gleichzeitig sieht er seine perfekte Verkörperung in vielen Menschen. Wenn es tatsächlich jemanden gibt, der ihn heute perfekt repräsentiert, dann könnte es zum Beispiel Peter Haindl sein, ein Wiener Krankenträger, Protagonist von Rainer Frimmels Debüt-Dokumentarfilm Aufzeichnungen aus dem Tiefparterre.
Aufzeichnungen aus dem Tiefparterre – gedreht im Jahr 2000 – ist ein ganz besonderer Film. Zu diesem Anlass hat Frimmel eine Reihe von Filmen ausgewählt und bearbeitet, die Haindl zwischen 1993 und 1999 selbst gedreht hat. Filme, in denen der Protagonist zunächst das Haus, in dem er lebt, zeigt und schließlich vor die Kamera tritt, um von seinem Alltag und seiner Einstellung gegenüber dem Leben und der Welt zu erzählen. So wie es unser Herr Karl seinerzeit getan hat.
Rassistische und frauenfeindliche Äußerungen, eine ständig unterdrückte, latente Gewalt, die sich nur in Worten ausdrückt, verraten nicht nur viel über den Protagonisten, sondern auch – und vor allem – über die Welt, in der wir leben und in der es keine Erinnerung an das, was in der Vergangenheit geschehen ist, zu geben scheint. Und so denken wir sofort an einen anderen wichtigen Dokumentarfilm, der in den letzten Jahren in Österreich entstanden ist: Im Keller (Ulrich Seidl, 2014). Auch hier erleben wir, wie die Protagonisten ihr wahres Gesicht zeigen, sobald sie zu Hause (oder in ihren Kellern) sind. Auch hier zeigt sich, dass bestimmte Realitäten leider immer aktuell sind.
Im Gegensatz zu Seidls Dokumentarfilm besteht Aufzeichnungen aus dem Tiefparterre jedoch ausschließlich aus Archivmaterial, das der Protagonist selbst aufgenommen hat. Rainer Frimmel hat seinerseits die wichtigsten Momente „fotografiert“ und ausgewählt und damit – wie übrigens auch in seinen späteren Arbeiten mit Tizza Covi – sofort bewiesen, dass er perfekt das Wesen der kleinen, den meisten unbekannten Wirklichkeiten einfangen kann. Realitäten, die in einigen Fällen für immer verschwinden werden, Realitäten, die mal mit kritischem Geist (wie im Fall von Aufzeichnungen aus dem Tiefparterre), mal mit aufrichtiger Zuneigung und Empathie (wie in den jüngeren Das ist Alles – 2001 – Mister Universo – 2016 – oder Aufzeichnungen aus der Unterwelt – 2020) betrachtet werden.
Mehr als zwanzig Jahre später ist daher Aufzeichnungen aus dem Tiefparterre immer noch von trauriger Aktualität. Ein verschwommenes Bild einer traurigen Gegenwart, das zugleich das außergewöhnliche Talent eines der populärsten österreichischen Filmemacher und Dokumentarfilmer offenbart, der auch außerhalb Österreichs große Erfolge gefeiert hat.
Titel: Aufzeichnungen aus dem Tiefparterre
Regie: Rainer Frimmel
Land/Jahr: Österreich / 2000
Laufzeit: 90’
Genre: Dokumentarfilm
Buch: Rainer Frimmel
Kamera: Rainer Frimmel
Produktion: Rainer Frimmel, sixpackfilm