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CORSAGE

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von Marie Kreutzer

Note: 7.5

Dekadenz und Modernität finden in Corsage eine gute Kombination. Die Kostüme und die eleganten Räume von Schönbrunn schaffen einen Gegenpol zur Popmusik. Gleichzeitig hat sich Marie Kreutzer für eine klassische Inszenierung entschieden, so dass sich der Zuschauer ausschließlich auf die magnetische Protagonistin, meisterhaft gespielt von Vicky Krieps, konzentrieren kann. Bei den Filmfestspielen von Cannes 2022.

Freiheit um jeden Preis

Als Regisseur Michael Kehlmann 1964 den Film Radetzkymarsch (nach dem gleichnamigen Roman von Joseph Roth) drehte, war die Szene, die Kaiser Franz Joseph im Nachthemd zeigt, besonders umstritten, da es als ungebührlich galt, eine solche Persönlichkeit in intimen Momenten darzustellen. Heute, gut achtundfünfzig Jahre später, haben sich die Dinge natürlich geändert, und in Corsage – dem jüngsten Spielfilm von Regisseurin Marie Kreutzer, der bei den Filmfestspielen von Cannes 2022 in der Sektion Un certain Regard uraufgeführt wurde – sehen wir das kaiserliche Paar in weitaus „kontroverseren“ Situationen. Ein gemeinsames Element ist jedoch die gnadenlose Darstellung der Habsburger Monarchie, die in Radetzkymarsch Millionen von Menschenleben ruiniert hat und in Corsage als wahrer goldener Käfig betrachtet wird.

In diesem Fall sehen wir also eine Kaiserin Elisabeth von Österreich (gespielt von Vicky Krieps, die bereits 2016 mit Kreutzer in Was hat uns bloß so ruiniert zusammengearbeitet hatte), die unglaublich verwundbar, menschlich, besessen von der Körperpflege (legendär sind ihre engen Corsagen) und verängstigt vom Älterwerden ist. Kein Wunder, dass die Geschichte am Tag vor ihrem vierzigsten Geburtstag, im Dezember 1877, beginnt. Elisabeth lebt mit ihrem Mann (Florian Teichtmeister) und ihren Kindern Rudolph (Aaron Friezs) und Valerie zusammen. Die Beziehung mit dem Kaiser hat sich längst abgekühlt, und der Wunsch, weit weg zu fliehen, ist immer noch sehr stark. Wird sie jemals ihre lang ersehnte Freiheit finden können?

In Corsage verlässt sich Marie Kreutzer ganz auf ihre Hauptfigur (meisterhaft gespielt von Krieps) und zeigt uns alles ausschließlich aus ihrer Perspektive, mit eindrucksvollen Großaufnahmen und Details von Händen, die Corsagen schnüren, aber auch von unbeschwerten Ausritten und Momenten intimer Vertraulichkeiten.

Kaiserin Elisabeth ist in diesem Fall keine strahlende Heldin. Im Gegenteil, ihre kontroversesten Aspekte werden uns von der Kamera mit hartem Realismus vorgeführt, der durch üppige und zugleich dekadente Szenenbilder und Momente, in denen die Protagonistin am Tod ihres Pferdes verzweifelt, dem Arzt (als dieser ihr mitteilt, dass sie mit 40 älter geworden ist) Grimassen schneidet, vor einer frühen, rudimentären Kamera des Filmpioniers Louis Le Prince tobt und sich dieses „neue Medikament“, Heroin, das „ohne gesundheitliche Risiken“ ihre innere Qual beenden kann, spritzen lässt, noch unterstrichen wird.

Dekadenz und Modernität finden also in Corsage eine gute Kombination. Die Kostüme und die eleganten Räume von Schönbrunn schaffen einen Gegenpol zur Popmusik von der französischen Musikerin Camille und alle zusammen erinnern fast an den Ansatz von Sofia Coppola in Marie Antoinette (2006). In diesem Fall hat sich Marie Kreutzer jedoch für eine klassischere Inszenierung entschieden, damit sich der Zuschauer ausschließlich auf ihre magnetische Protagonistin konzentrieren kann. Eine besonders treffende Wahl, die Corsage zu einem mutigen, aber nie exzessiven oder grundlosen Spielfilm macht. Ein Spielfilm, der sich nicht scheut, es zu wagen, mit dem Finger auf eine kühle und heuchlerische Welt zu zeigen, uns ein vielschichtiges, aber auch liebevolles und sehr empfindsames Porträt der Kaiserin Elisabeth von Österreich zu schenken. Die Zeiten, in denen die junge Romy Schneider in Ernst Marischkas Trilogie (1955 – 1957) die rebellische, aber glücklich verliebte Sissi spielte, sind längst vorbei. Jetzt ist es an der Zeit, sich der Realität zu stellen und – warum nicht? – endlich loszulassen und von einem Schiff ins offene Meer zu springen.

Titel: Corsage
Regie: Marie Kreutzer
Land/Jahr: Österreich, Frankreich, Luxemburg, Deutschland / 2022
Laufzeit: 113’
Genre: Filmbiografie, Drama, Historienfilm
Cast: Vicky Krieps, Colin Morgan, Finnegan Oldfield, Tamas Lengyel, Jeanne Werner, Aaron Friesz, Manuel Rubey, Alexander Pschill, Alma Hasun, Katharina Lorenz, Raphael von Bargen, Florian Teichtmeister, Ivana Urban, Marlene Hauser, Regina Fritsch, Stefan Puntigam, Norman Hacker, Johanna Mahaffy, David Oberkogler, Oliver Rosskopf
Buch: Marie Kreutzer
Fotografia: Judith Kaufmann
Produktion: Arte France Cinéma, Eurimages, Film AG Produktion

Info: Die Seite von Corsage auf iMDb; Die Seite von Corsage auf der Webseite des Österreichischen Filminstituts; Der Artikel zu Corsage auf Raccontardicinema.it