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STILLLEBEN

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von Sebastian Meise

Note: 7.5

Stillleben ist keineswegs ein „einfacher“ Film. Im Gegenteil, jede kleinste Facette der Persönlichkeiten der ProtagonistInnen wird von der Kamera von Sebastian Meise auf eine Weise wiedergegeben, die niemals rhetorisch oder vorhersehbar ist. Die Großaufnahmen ihrer Gesichter, die Geständnisse, die Gespräche im Auto oder auf einem Bahnsteig, aber auch die extremen Gesten geben jedem von ihnen Menschlichkeit.

Abbitte

Regisseur Sebastian Meise hat in letzter Zeit von sich reden gemacht, nachdem sein Spielfilm Große Freiheit, der erstmals bei den Filmfestspielen von Cannes 2021 gezeigt wurde, es auf die Oscar-Shortlist 2022 für den Besten Fremdsprachigen Film geschafft hat. Wenn man jedoch auf seine Karriere zurückblickt, wird man unweigerlich an sein Spielfilmdebüt Stillleben aus dem Jahr 2011 erinnert, das bereits ein bemerkenswertes Talent für die Inszenierung heikler menschlicher Dramen offenbarte.

In Stillleben wird uns also eine problematische Familiengeschichte erzählt, zusammen mit einer schmerzhaften Vergangenheit, brennenden Geheimnissen und alten Schuldgefühlen. Der junge Bernhard (gespielt von Christoph Luser) erfährt zufällig, dass sein Vater Gerhard (Fritz Hörtenhuber) sich mit einigen Prostituierten trifft und sie bittet, sich als seine Tochter Lydia (Daniela Golpashin) auszugeben. Sobald auch ihre Mutter und ihre Schwester davon erfahren (und auch davon, dass der Mann, obwohl er seine Tochter nie missbraucht hat, einige ihrer Kindheitsfotos versteckt hielt), gerät das ohnehin schon prekäre Familiengleichgewicht endgültig ins Wanken.

Pädophilie und Familienmissbrauch waren schon immer als besonders heikle Themen angesehen worden, wenngleich sie traurig aktuell sind. In seinem Stillleben hat Sebastian Meise diese Themen also mit Intelligenz und Feingefühl behandelt, ohne jemals zu urteilen, wobei er in einem einfachen Realismus die richtige Lösung gefunden hat, um die Geschichte der erwähnten Familie zu inszenieren. Gerhard ist ein schweigsamer Mann, der die meiste Zeit seines Lebens in seiner Schreinerei verbringt. Seine Frau ist ein zurückhaltender Mensch, mit dem er nicht viel zu tun zu haben scheint, während seine Kinder inzwischen erwachsen sind und jedes von ihnen seinen eigenen Weg geht. Die Vergangenheit spielt jedoch eine zentrale Rolle in ihrer Gegenwart und wirft gleichzeitig komplexe moralische Fragen auf, die sehr schwer zu beantworten sind.

Der Regisseur hat sich für einen minimalistischen Regieansatz entschieden, bei dem der Musik sehr wenig Raum gewidmet wird, während die Schatten immer die Oberhand über das Licht zu gewinnen scheinen, sei es in den Straßen der Stadt oder in einem Nachtclub, in den Räumen des Hauses oder auch in der erwähnten Schreinerei. Licht würde schließlich eine Art „Befreiung“ bedeuten. Aber wann wird die ersehnte Befreiung kommen? Und vor allem: Wie können sich die Protagonisten endlich frei fühlen?

Stillleben ist keineswegs ein „einfacher“ Film. Im Gegenteil, jede kleinste Facette der Persönlichkeiten der ProtagonistInnen wird von der Kamera von Sebastian Meise auf eine Weise wiedergegeben, die niemals rhetorisch oder vorhersehbar ist. Die Großaufnahmen ihrer Gesichter, die Geständnisse, die Gespräche im Auto oder auf dem Bahnsteig, aber auch die extremen Gesten geben jedem von ihnen Menschlichkeit und machen uns auf subtile und besonders intelligente Weise klar, dass es in der Welt nicht mehr nur Schwarz und Weiß gibt. Selbst dann, wenn eine kategorische Verurteilung im Grunde genommen die richtige Lösung zu sein scheint.

Titel: Stillleben
Regie: Sebastian Meise
Land/Jahr: Österreich / 2011
Laufzeit: 78’
Genre: Drama
Cast: Daniela Golpashin, Christoph Luser, Fritz Hörtenhuber, Roswitha Soukup, Anja Plaschg, David Hebenstreit
Buch: Sebastian Meise, Thomas Reider
Kamera: Gerald Kerkletz
Produktion: FreibeuterFilm, Lotus Film

Info: Die Seite von Stillleben auf iMDb; Die Seite von Stillleben auf der Webseite der Austrian Film Commission; Die Seite von Stillleben auf der Webseite der Lotus Film