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INTERVIEW MIT KURDWIN AYUB

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Anlässlich der Diagonale 2022 präsentierte Regisseurin Kurdwin Ayub ihren Spielfilm Sonne, den Eröffnungsfilm des Festivals, der bereits auf der Berlinale 2022 zu sehen war und dort den GWFF-Preis für den Besten Erstlingsfilm gewann. Cinema Austriaco hatte die Gelegenheit, mit ihr zu sprechen und mehr über ihre Arbeit und ihre Karriere zu erfahren. Herausgegeben von Marina Pavido.

Marina Pavido: Wie kam es zur Idee, Sonne zu drehen?

Kurdwin Ayub: Vor einiger Zeit habe ich im Internet eine Girlband gefunden, die muslimische Lieder auf Englisch sang und bereits ein breites Publikum hatte. Ich wollte einen Dokumentarfilm über sie machen, ich habe versucht, sie zu kontaktieren, aber sie haben nicht geantwortet, also habe ich beschlossen, meine eigene Geschichte zu schreiben. Natürlich sind im Laufe der Jahre immer wieder neue Ideen aufgetaucht, die mich oft betreffen. Es ist also eine fiktive Geschichte, die gleichzeitig teilweise meine Gefühlswelt widerspiegelt.

M. P.: Könntest du uns mehr über den Charakter von Yesmin erzählen?

K. A.: Ich könnte sagen, dass Yesmin eine Art Mischung aus mir und meiner Schwester ist. Das ist zweifelsohne eine lustige Sache. Gleichzeitig hat die Schauspielerin, die sie gespielt hat (Melina Benli), ihr auch einige ihrer eigenen Züge ihrer Persönlichkeit gegeben. Normalerweise arbeite ich mit LaiendarstellerInnen, die eine bemerkenswerte Persönlichkeit haben. Das finde ich auch für die Geschichte sehr wichtig. Yesmin ist im Grunde eine Mischung aus mir, meiner Schwester, meiner Welt und der Schauspielerin, die sie spielt. Sie lebt in einer Welt, in der ihr ihre Identität bereits „zugewiesen“ wurde, aber als ihre Freundinnen sich ihrer Welt immer näher fühlen, beginnt sie, sich selbst in Frage zu stellen. Damit beginnt ein Prozess der Selbsterkenntnis, der sie oft nervös und verwirrt macht. Es war mir immer wichtig, dass ihre Figur sehr menschlich ist, mit ihren Schwächen und Zweifeln.

M. P.: Dein Regieansatz ist sehr interessant. Wie wurdest du von der Sprache der sozialen Medien beeinflusst?

K. A.: Ich bin in einer Welt aufgewachsen, in der soziale Medien und Smartphones eine immer wichtigere Rolle in unserem Leben gespielt haben. Ich habe mich schon immer für das Thema soziale Medien interessiert, wie jeder damit aussehen will, wie man sich anderen präsentieren will und wie man mit diesen neuen Medien Kunst schaffen kann. Soziale Medien haben schon immer eine zentrale Rolle in meinen kreativen Prozessen gespielt. Und ohne soziale Medien kann man heute keine Geschichte über Jugendliche erzählen (lacht).

M. P.: Sowohl in Paradies! Paradies! als auch in Sonne hast du mit deinem Vater gearbeitet. Könntest du uns etwas mehr über diese Erfahrung erzählen?

K. A.: Das Lustige ist, dass meine Mutter auch in Sonne mitspielt, aber in diesem Fall spielt sie eine Figur, die ganz anders als sie selbst ist, außer in der Szene, in der sie über ihre Vergangenheit spricht. Mein Vater hingegen spielt praktisch sich selbst. Bei beiden musste ich unterschiedliche Methoden anwenden: Während ich meiner Mutter verschiedene Anweisungen geben musste, brauchte ich für meinen Vater nichts vorzubereiten. Er kam von der Arbeit, die Situation wurde ihm erklärt, und dann haben wir einfach geschaut, was passierte. Ich denke, dass jede/r LaiendarstellerIn eine besondere Herangehensweise braucht, und mit der Zeit lernt man, mit jedem und jeder von ihnen umzugehen. Du lernst von ihnen und sie lernen von dir.

M. P.: Wie war es, mit Ulrich Seidl zu arbeiten?

K. A.: Da er ebenfalls Regisseur ist, weiß er, was notwendig ist und was nicht, und lässt gleichzeitig viel Freiheit. Obwohl wir zwei unterschiedliche Handschriften haben, haben wir eine ähnliche Arbeitsweise: Wir drehen beide chronologisch, wir arbeiten beide oft mit Laiendarstellern, wir legen beide großen Wert auf Authentizität. Im Grunde gab er mir die Freiheit und die Möglichkeiten, die er selber gerne hat.

M. P.: Könntest du uns ein paar lustige Geschichten erzählen, die während der Dreharbeiten zum Film passiert sind?

K. A.: Einmal ist etwas sehr Nettes passiert. Wir waren in Simmering, dem Viertel, in dem ich aufgewachsen bin, und wir drehten die Szene, in der die Jungs – die echten Bad Boys im Film – fast irgendwo einbrechen wollten. Eine Gruppe von Kindern war in unserer Nähe stehen geblieben, um zu sehen, was wir da taten. Dann kam ein Kind auf einem Fahrrad mit einem großen Stein in der Hand zu uns und sagte: „Vielleicht könnt ihr es damit besser machen“ (lacht).

M. P.: Wann wurde dir klar, dass du Regisseurin werden wolltest?

K. A.: Ich wollte schon immer Geschichten erzählen, und da ich mit Fernsehen aufgewachsen bin, habe ich schon sehr früh daran gedacht, Filme zu machen. Ich war mir nicht sicher, was Regie führen bedeutet, aber ich war mir sicher, dass ich Filme machen wollte. Also habe ich in der Schule mit meinen Freundinnen meine ersten Videos gedreht. Mit achtzehn Jahren habe ich mich dann an der Universität für angwandten Kunst beworben. Zunächst glaubte ich nicht, dass ich es schaffen würde, aber dann hat es doch geklappt. Am besten gefiel mir, dass ich meine Experimentierfreudigkeit immer beibehalten konnte.

M. P.: Gibt es Filme, Strömungen oder Regisseure, die für dich besonders bedeutend gewesen sind?

K. A.: Das ist eine komplizierte Frage. Ich könnte Maria Lassnig nennen, die für mich sehr inspirierend war, aber auch Marina Abramović. Ich habe schon immer New-Hollywood-Filme sowie Komödien aus den 1940er Jahren geschätzt. Einer der letzten Filme, die mir gefallen haben, war zum Beispiel The Batman, auch weil ich in den Hauptdarsteller verliebt bin (lacht). Aber letztendlich ist es kompliziert, eine bestimmte Strömung oder einen bestimmten Regisseur zu wählen. Man könnte einfach sagen, dass man Filme liebt.

M. P.: Eine letzte Frage: Arbeitest du derzeit an neuen Projekten?

K. A.: Ja, ich arbeite gerade an meinem nächsten Film, der Mond heißt und die Geschichte einer ehemaligen Kampfsportlerin erzählt, die drei Töchter einer arabischen Familie Sportunterricht gibt. Nach und nach wird die Situation jedoch komplizierter und mysteriöser, auch in Bezug auf diese Familie. Es wird jedenfalls eine spannende Geschichte sein.

Info: Die Seite von Kurdwin Ayub auf iMDb; Die Webseite von Kurdwin Ayub