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INTERVIEW MIT ULRICH SEIDL

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Anlässlich der Diagonale 2022 präsentierte Regisseur Ulrich Seidl seinen Spielfilm Rimini, der als Bester Spielfilm ausgezeichnet wurde und bereits auf der Berlinale 2022 im Wettbewerb lief. Cinema Austriaco hatte die Gelegenheit, sich mit ihm zu unterhalten und mehr über seine Arbeit und seine Karriere zu erfahren. Herausgegeben von Marina Pavido.

Marina Pavido: Wie kam es zur Idee, Rimini zu realisieren?

Ulrich Seidl: Die Idee für dieser Geschichte war der Schauspieler Michael Thomas, den ich vor vielen Jahren auch als Sänger kennengelernt habe. Was ich an seiner Figur Richie Bravo am interessantesten finde, ist ihre Ambivalenz. Richie Bravo ist kein strahlender Held. Er ist ein Mann, der auf der Bühne eine gewisse Rolle spielt, der aber jeden Tag um sein Überleben kämpfen muss. Ein Mann in finanziellen Schwierigkeiten, aber auch spielsüchtig und alkoholabhängig. Eine menschliche Figur, die ständig scheitert und gerade deshalb das Interesse des Zuschauers wecken kann. Ich habe ihn sofort als eine äußerst interessante Figur für einen Film betrachtet.

M. P.: Die Figur des Vaters ist ebenso interessant. Können Sie uns mehr über ihn erzählen?

U. S.: Rimini war ursprünglich als ein anderes Projekt gedacht, aus dem dann zwei Filme entstanden sind. Ursprünglich handelte es sich um eine Familiengeschichte, deren Protagonisten die beiden Brüder, der Vater und die Mutter sind. Obwohl die Mutter nicht mehr lebt, spielt sie in den beiden Filmen eine wichtige Rolle, da sie in den Erinnerungen der Brüder immer präsent ist. Es sollte ein Film über Familienbeziehungen sein, eine Geschichte über mehrere Generationen. Es gibt nämlich den Vater, die beiden Söhne und auch die Tochter von Richie Bravo, also drei Generationen. Der Vater stammt aus der Zeit des Nationalsozialismus, was aber nicht bedeutet, dass sein Sohn durch die Vergangenheit seines Vaters zu dem geworden ist, was er ist. Daran habe ich zunächst nicht gedacht, aber der Zuschauer kann seine eigene Geschichte immer noch nach Belieben rekonstruieren.

M. P.: Es wird also bald einen weiteren Film geben, in dem der andere Bruder (gespielt von Georg Friedrich) die Hauptrolle spielt?

U. S.: Ja. Der Film heißt Sparta. Aber es ist noch zu früh zu sagen, wo und wann er seine Weltpremiere feiern wird.

M. P.: Warum haben Sie sich für die Stadt Rimini entschieden und warum wird sie uns auf eine andere Weise präsentiert, als wir sie uns normalerweise vorstellen?

U. S.: Als ich mit dem Schreiben des Drehbuchs begann, hatte ich bereits einige Bilder der Stadt im Winter im Kopf. Für mich wird durch den dichten Nebel das Gefühl der Einsamkeit noch besser vermittelt, all dies ist besonders faszinierend. Eine solche Atmosphäre war für mich sehr inspirierend. Natürlich hätte die Geschichte auch in einer anderen Stadt spielen können, aber ich habe mich für Rimini entschieden. Dort bin ich als Kind oft mit meinen Eltern gewesen. Für mich ist es ein besonders faszinierender Ort mit sehr interessanten Schauplätzen.

M. P.: Ein weiteres interessantes Element ist die Villa Bravo, in der der Protagonist lebt.

U. S.: Ja, die Villa ist ein Ort, an dem Richie in der Vergangenheit glückliche Momente erlebt hat. Damals, als er noch keine finanziellen Schwierigkeiten hatte, konnte er es sich leisten, in dieser Villa, die nun restauriert werden sollte, zu leben. Das Haus und die Art, wie er darin lebt, sagen viel über die Figur. Als schließlich seine Tochter mit ihrem Freund und dessen Entourage bei ihm einzieht, muss er, obwohl er immer ein stolzer Besitzer der Villa Bravo war, akzeptieren, dass die glücklichen Zeiten endgültig vorbei sind.

M. P.: Richie Bravo ist im Grunde ein einsamer Mann. Einsamkeit ist also eine Konstante in Ihrer Filmografie.

U. S.: Ja, Einsamkeit spielt in meinen Filmen immer eine wesentliche Rolle. Wenn man etwas über den Wunsch nach Erfüllung und Liebe erzählt, spricht man gleichzeitig über Einsamkeit.

M. P.: Im Programm der Diagonale gibt es zwei weitere Filme, die Sie produziert haben: Sonne und Luzifer. Sie haben schon immer viel Aufmerksamkeit besonders begabten jungen Regisseurinnen und Regisseuren geschenkt, die oft mit neuen Filmsprachen experimentieren. Aber wie schwierig ist es heute für einen jungen Menschen, die Mittel und das Geld zu finden, um einen Film zu machen?

U. S.: Ich weiß nicht, ob es heute schwieriger ist als damals, als ich jung war. Auf jeden Fall ist es immer schwierig, denn es gibt nicht genug Geld für alle, die Filme machen wollen, und man muss oft lange warten, bis ein Film finanziert wird. Normalerweise muss man sich bei mehreren Institutionen um eine Finanzierung bewerben, und das ist ein sehr langer Prozess. Es hängt auch vom Mut dieser Institutionen ab, neue Projekte zu finanzieren und neue Namen zu unterstützen. Ich finde es aber sehr wichtig, dass neue Nachwuchskünstler ihre eigenen Filme machen können. Wenn man nicht dafür sorgt, dass junge Menschen ihre eigenen Filme machen können, wird in Zukunft nichts mehr gemacht werden. Es muss auch gesagt werden, dass die Projekte, die heute finanziert werden, immer kommerzieller sind und es kaum noch Raum für diejenigen gibt, die ihre eigenen Ideen entwickeln oder mit neuen Filmsprachen experimentieren wollen. Ich bin aber der Meinung, dass der österreichische Film der letzten Jahrzehnte Individualität und der Vielfalt von Ideen und Sprachen viel Raum gegeben hat.

M. P.: Gibt es Filme oder Strömungen, die in Ihrer Ausbildung eine besonders wichtige Rolle gespielt haben?

U. S.: Besonders am Anfang hat man immer Vorbilder. Was mich betrifft, so gibt es eine Reihe von Regisseuren, wie zum Beispiel Pier Paolo Pasolini, Werner Herzog und Luis Buñuel, die mich immer inspiriert haben. Wenn ich an die Stadt Rimini zurückdenke, war Fellini nicht eines meiner Vorbilder, obwohl ich ihn sehr schätze. Ich hatte immer das Gefühl, dass Pasolini mir näher steht, weil er einen realistischeren Ansatz hat.

M. P.: Aber Fellini wird sehr oft von Regisseuren aus der ganzen Welt zitiert.

U. S.: Ja, Sorrentino ist zum Beispiel einer von ihnen, aber er schafft es nicht, Fellini nachzuahmen. Ich habe zum Beispiel seinen letzten Film angesehen (The Hand of God), und ich fand ihn sehr schwach.

M.P.: Eine letzte Frage: Welchen Rat würden Sie einem jungen Menschen geben, der Regisseur werden möchte?

U. S.: Man sollte immer bei sich bleiben. Das ist wichtig, wenn man sich entwickeln will. Es ist auch wichtig, keine Kompromisse einzugehen. Wenn man anfängt, Kompromisse einzugehen, ist es schwer, bei sich zu bleiben. Das kann sicherlich schwierig sein, aber letztlich etablieren sich nur die Filmemacher, die ihren eigenen Weg gehen. Viele geben zum Beispiel ihre Projekte wegen der Schwierigkeiten auf und beschließen, nicht mehr in der Filmbranche zu arbeiten.

Info: Die Seite von Ulrich Seidl auf iMDb; Die Webseite von Ulrich Seidl