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von Ulrich Seidl
Note: 8
Mit Rimini zeichnet Ulrich Seidl ein gnadenloses Porträt der Welt, in der wir leben, in der sich niemand retten kann, in der es keine Hoffnung auf eine bessere Zukunft gibt, in der alte Lieder aus dem Zweiten Weltkrieg noch immer durch die Gänge eines tristen Altenheims hallen und als trauriges Leitmotiv unseres Lebens wirken. Auf der Berlinale 2022.
In Erinnerung an eine glorreiche Vergangenheit
Wir haben lange auf Rimini, den jüngsten Film des renommierten Regisseurs Ulrich Seidl, gewartet. Sein neuestes Werk, das teils in Niederösterreich und teils in Italien (in Rimini) gedreht wurde, ist nun endlich im Wettbewerb der Berlinale 2022 zu sehen und hat bereits nach seiner ersten Vorführung von sich reden gemacht.
Die Geschichte ist die des Sängers Richie Bravo (gespielt von Michael Thomas), der seit Jahren in Rimini lebt, aber nach dem Tod seiner Mutter vorübergehend in seine Heimatstadt zurückkehren muss. Sein Vater (gespielt von Hans-Michael Rehberg, hier in seinem letzten Filmauftritt vor seinem Tod im Jahr 2017) ist inzwischen in einem Altersheim und leidet an Demenz. Richies Vergangenheit wird also auch seine Gegenwart beeinflussen, wenn er nach Rimini zurückkehrt.
Richie Bravo ist eigentlich ein einsamer Mann. Die Poster in seiner Villa erinnern an eine glorreiche Vergangenheit, als er ein erfolgreicher Sänger war. Die Gegenwart sieht für ihn jedoch ganz anders aus. Von Zeit zu Zeit muss Richie seine Villa an Touristen vermieten und sich für ältere Damen prostituieren. Er befindet sich in deutlichen finanziellen Schwierigkeiten. Die Konzerte, bei denen er auftritt, werden nur von einer kleinen Gruppe von älteren Menschen besucht. Der Mann hat noch nie in seinem Leben Unterhalt für seine Tochter Tessa (Tessa Göttlicher) zahlen können. Aber was würde passieren, wenn sie ihn plötzlich um das ganze Geld, das er ihr schuldet, bitten würde?
Rimini ist also ein Film, in dem Bilder mehr wert sind als Worte. Die Gegenstände im Keller von Richies Vater – die so sehr an die Orte des Dokumentarfilms Im Keller (2014) erinnern – offenbaren eine Vergangenheit, die nie gestorben ist. Eine Vergangenheit, die immer bereit ist, sich lebendiger denn je bemerkbar zu machen, mal durch ein Lied, das in den leeren Fluren eines Altersheims gesungen wird, mal durch zynische und unbarmherzige Blicke, die nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind.
Richie Bravo ist eigentlich kein makelloser Mensch. Im Gegenteil, durch seine Liebeserklärungen und seine Lieder verkündet er Gefühle, die längst tot sind. Gleichzeitig ist er aber auch ein Opfer der Vergangenheit, und Ulrich Seidl beobachtet ihn ohne zu urteilen, aber mit großem Mitgefühl. Tatsächlich greift der Regisseur etwas an, das in der Vergangenheit verwurzelt ist, etwas, das scheinbar nie sterben will, etwas, das von Generation zu Generation weitergegeben wird und das sich in Rimini in der Figur der Tochter des Protagonisten in einer „postmodernen“ Variante manifestiert.
Rimini ist ein Film des Unausgesprochenen, ein Film, in dem die Aufrichtigkeit der Absichten etwas, das die Protagonisten nicht kennen, selbst wenn sie keine schlechten Absichten haben, ist. Selbst wenn es – wie im Fall unseres Richie Bravo – nur darum geht, zu überleben oder bestimmte Fehler der Vergangenheit zu sühnen. Niemand kann wirklich sehen, was sich vor seinen Augen abspielt, fast so, als ob es Mauern zwischen Menschen gäbe. Ein kaltes, winterliches Rimini, wo der dichte Nebel die Sicht auf die Straße erschwert, spricht für sich selbst. Seidl hat kein Mitleid mit bestimmten Realitäten und nutzt seine Kamera, um paradoxe Situationen zum Leben zu erwecken, auch dank des schwarzen Humors, der seine Werke schon immer ausgezeichnet hat. Und so zeichnet er einmal mehr ein gnadenloses Porträt der Welt, in der wir leben, in der niemand die Chance hat, sich zu retten, in der es keine Hoffnung auf eine bessere Zukunft gibt, in der alte Lieder aus dem Zweiten Weltkrieg noch immer durch die Flure eines tristen Altenheims hallen und als trauriges Leitmotiv unseres Lebens wirken.
Titel: Rimini
Regie: Ulrich Seidl
Paese/anno: Österreich, Frankreich, Deutschland / 2022
Laufzeit: 114’
Genre: Drama
Cast: Michael Thomas, Hans-Michael Rehberg, Tessa Göttlicher, Inge Maux, Claudia Martini, Georg Friedrich
Buch: Ulrich Seidl, Veronika Franz
Kamera: Wolfgang Thaler
Produktion: Ulrich Seidl Filmproduktion, Parisienne de Production, Essential Films