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von Malte Ludin und Iva Svarkova
Note: 7
Tonsüchtig. Die Wiener Symphoniker von innen vermittelt Leidenschaft, identifiziert sich sofort mit seinen Protagonisten und folgt ihnen diskret. Nur einige Dialoge sind fast „unnatürlich“ und lassen den Dokumentarfilm einen Teil seiner Spontaneität verlieren.
Musik, Leidenschaft, Leben
Die Wiener Philharmoniker. Eine wahre Legende für alle Klassik-Fans und eine echte Institution in Österreich. Doch was, oder besser gesagt wer, steckt in einer so eng verbundenen Gruppe? Die Regisseure Iva Svarkova und Malte Ludin haben versucht, diese kleine und wertvolle Realität eingehend zu untersuchen. Und so entstand Tonsüchtig. Die Wiener Symphoniker von innen., ein spannender Dokumentarfilm, der uns in eine Welt entführt, die wir alle kennen, aber nur wenige von uns wirklich aus der Nähe beobachtet haben.
Die sehr berühmte Musik aus Der dritte Mann wird auf der Harfe gespielt. Es klingt fast wie ein Spiel. Dann, plötzlich, beginnt die Generalprobe. Mehrere Dirigenten wechseln sich auf der Bühne ab, Arien von Mozart, Beethoven, Bach erklingen im Saal. Und der Schnitt, perfekt abgestimmt auf die Raserei des Moments, wird immer hecktischer.
Die Kamera der Filmemacher verweilt zunächst nur kurz auf den Gesichtern der einzelnen Musiker. Und doch ist sie schon bereit, sich auf jeden von ihnen zu konzentrieren, sich ihre Geschichten anzuhören und zu erfahren, was sie im Laufe der Zeit dahin gebracht hat, wo sie jetzt sind.
Tonsüchtig. Die Wiener Symphoniker von innen. vermittelt Leidenschaft, identifiziert sich sofort mit seinen Protagonisten, folgt ihnen diskret und ist manchmal leider durch einige allzu „unnatürliche“ Dialoge nicht glaubwürdig. Doch es ist nicht leicht, vor der Kamera spontan zu sein und über intime und persönliche Angelegenheiten zu sprechen.
Und während es jene gibt, die aufgrund ihrer Arbeit nie Zeit für ihre Familien haben, gibt es auch jene, die unter ihren Kollegen die Liebe gefunden haben oder die, aus einem Land wie Russland kommend, wo das Studium der Musik von Kindheit an als besonders wichtig angesehen wird, in Wien endlich ihren Platz in der Welt gefunden haben.
Eine Reihe von Porträts und ebenso viele Momente, in denen wir die Gruppe beim Üben vor den Proben oder die Musiker beim späten Eintreffen in der Halle sehen. Und doch, wie jede Musikstück, Tonsüchtig. Die Wiener Symphoniker von innen. verfügt über ein gelungenes Crescendo. Und das ist besonders dann der Fall, wenn wir die Auswahl eines ersten Geigers miterleben. In diesem Moment fokussiert die Kamera auf eine junge Musikerin. Eine junge Musikerin, die sich mit all ihren Ängsten und Hoffnungen für die Zukunft vor der Kamera zeigen wird.
Hatte der Zuschauer bis zu diesem Moment mit Interesse die Geschichten der einzelnen Gruppenmitglieder verfolgt, so beginnt er, wenn wir uns dem Finale nähern, die Emotionen der jungen Geigerin zu erleben, er beginnt mit ihr zu hoffen, er beginnt sich mit ihr zu freuen. Und die Musik – oft diegetisch – spielt eine ebenso zentrale Rolle.
Es ist nicht einfach, Klischees zu vermeiden, wenn man sich an einem Film wie Tonsüchtig. Die Wiener Symphoniker von innen. versucht. Und genau das haben die beiden Regisseure oft riskiert. Doch wenn sie sich gehen lassen und sich von den Ereignissen mitreißen lassen, bringen sie das Beste in sich zum Vorschein. Und natürlich fühlt man sich am Ende der Vorstellung trotz angenehm zufrieden und sogar aufrichtig bewegt. Das ist die Kraft der Musik, aber auch eines guten Films. Ein ehrlicher und leidenschaftlicher Film, den wir alle immer wieder brauchen.
Titel: Tonsüchtig. Die Wiener Symphoniker von innen.
Regie: Malte Ludin, Iva Svarkova
Land/Jahr: Österreich / 2020
Laufzeit: 90’
Genre: Dokumentarfilm
Buch: Malte Ludin, Iva Svarkova
Kamera: Helmut Wimmer
Produktion: Kurt Mayer