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SIGMUND FREUD – JUDE OHNE GOTT

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von David Teboul

Note: 7.5

Der Mensch vor dem Genie. Genau das will David Teboul in seinen Filmen herausstellen. Und so verbindet in Sigmund Freud – Jude ohne Gott die Erzählstimme – das einzige Element, das nicht Teil des Archivmaterials ist – einfach einen Text mit einem anderen, um die Inszenierung fließend zu gestalten. Eine besondere Inszenierung, die aus Archivmaterial besteht, das so bearbeitet wurde, dass es einem Spielfilm ähnelt.

In der Welt von Freud

Sigmund Freud. Der Vater der Psychoanalyse. Eine zentrale Figur in der Geschichte Österreichs und der Welt. Zweifelsohne gibt es viel über ihn zu sagen. Aber was ist oder was wäre die beste Lösung, um einem der intimsten und treuesten Porträts, die je gemacht wurden, zu schaffen? Die Antwort scheint der französische Regisseur David Teboul gefunden zu haben, der beim Film Sigmund Freud – Jude ohne Gott, der Teil der abgesagten Diagonale 2020 sein sollte, zahlreiche Archivaufnahmen sowie Briefe und Tagebücher von Freud selbst und seiner Tochter Anna verwendet hat.

Der Film fällt sofort durch seine extreme stilistische Sorgfalt und durch eine akribische und ziemlich komplizierte Recherchearbeit auf. Schon in den ersten Bildern beginnt die Stimme Sigmund Freuds, von seinem Leben, seiner Herkunft, seiner Kindheit, seinem nicht einfachen Zustand als Nachkomme einer Familie jüdischer Abstammung, seinem Leben in Österreich und seinem Exil in London zu erzählen.

Große Bedeutung für Freundschaft und Familie, große Liebe für Hunde. Und vor allem für seine Chow-Chows, die den kleinen Löwen so ähnlich waren. In Sigmund Freud – Jude ohne Gott wird uns ein menschlicher Freud gezeigt, mit all seinen Schwächen und Leidenschaften, oft liebevoll von seiner Tochter Anna beschrieben.

Bilder eines Österreichs des frühen 20. Jahrhunderts werden hier im Stil eines Spielfilms bearbeitet. Ein konstantes und feines Schwarz-Weiß begleitet uns durch den ganzen Film, bis wir wenige Minuten vor dem Ende – in Farbe – einen betagten Sigmund Freud mit seiner Tochter Anna sehen. Durch detaillierte Studien an Einzelbildern hat David Teboul Nahaufnahmen, Details und Panoramen erarbeitet, die die Idee der besonderen Atmosphären perfekt wiedergeben, die dargestellt werden. Eine solche Arbeit erinnert vielleicht sogar an Peter Jacksons exzellenten They shall not grow old (2018), lässt aber unweigerlich an Parallelen zu zwei anderen früheren Filmen von Teboul denken, nämlich an die Dokumentarfilme, die dem Modedesigner Yves Saint Laurent gewidmet sind. Wie in Sigmund Freud – Jude ohne Gott liegt auch hier der Fokus auf der menschlicheren und verwundbareren Seite des Charakters. Auch hier hängt der Protagonist merkwürdigerweise wahnsinnig an seinem Haustier (in diesem Fall eine sympathische französische Bulldogge).

Der Mensch vor dem Genie. Genau das will David Teboul in seinen Filmen herausstellen. Und so verbindet in Sigmund Freud – Jude ohne Gott die Erzählstimme – das einzige Element, das nicht Teil des Archivmaterials ist – einfach einen Text mit einem anderen, um die Inszenierung fließend zu gestalten. Und so wird uns im Laufe des Films die Welt von Sigmund Freud immer vertrauter. Eine Welt, in der die Schrecken des Krieges und die Ängste, die viele damals erlebt haben, einen Kontrapunkt zu den faszinierenden Bildern auf der Leinwand bilden. Bilder einer fernen Vergangenheit, die perfekt an die Gegenwart angepasst sind. Bilder von tiefen Ängsten, aber auch von heiteren Momenten, wie wenn man endlich die wohlverdiente Ruhe im eigenen, sonnigen Garten genießen kann.

Titel: Sigmund Freud – Jude ohne Gott
Regie: David Teboul
Land/Jahr: Frankreich, Österreich / 2020
Laufzeit: 98’
Genre: Dokumentarfilm
Buch: François Prodromidès, David Teboul
Kamera: Martin Roux, Richard Copans
Produktion: Les Films d’ici, Arte France, WILDart Film

Info: Die Seite von Sigmund Freud – Jude ohne Gott auf iMDb; Die Seite von Sigmund Freud – Jude ohne Gott auf der Webseite der Diagonale