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von Wilhelm Pellert
Note: 7.5
Jesus von Ottakring, der brillante Debütfilm von WIlhelm Pellert, zeigt mit dem Finger auf eine heuchlerische Gesellschaft, die die „Andersartigen“ ausgrenzt, die um jeden Preis einen Sündenbock sucht, aber gleichzeitig verzweifelt jemanden braucht, den sie vergöttern kann.
Ein neuer Messias
Nicht zufällig ist der 1975 gedrehte Spielfilm Jesus von Ottakring in Österreich zu einem echten Kultfilm geworden. Und tatsächlich wirkt dieser fulminante Debütfilm von Wilhelm Pellert, der anlässlich der Viennale 2020 im Rahmen der vom Filmarchiv Austria kuratierten Retrospektive Austrian Auteurs erneut dem Publikum vorgestellt worden ist, zeitgemäßer und zukunftsweisender denn je.
Basierend auf dem gleichnamigen Theaterstück, das Wilhelm Pellert gemeinsam mit Helmut Korherr geschrieben hat, erzählt Jesus von Ottakring die bizarre Geschichte von Ferdinand Novacek, der in jungen Jahren mit seiner Familie als Flüchtling nach Wien gekommen ist. Als Erwachsener beginnt er, Werte wie Toleranz und Nächstenliebe zu predigen, sammelt zahlreiche Menschen um sich und interessiert sich auch für die schwierigen Lebensumstände einiger Arbeiter. Auch dank seiner langen Haare erhielt der Mann bald den Spitznamen „Jesus von Ottakring“. Die bizarrsten Ereignisse werden ihm zugeschrieben, und viele Menschen stellen sich gegen ihn.
Was ist die Besonderheit dabei? Ganz einfach: Während des gesamten Films sehen wir nie die Figur dieses „Jesus“. Dennoch sind seine Taten und Worte innerhalb der Gesellschaft ständig spürbar. Eine scheinbar ruhige und beschauliche Gesellschaft, die ihre Erfüllung in einem heiteren Alltag im Bezirk Ottakring sieht, ebenso wie im berühmten Praterspielplatz oder am Zentralfriedhof. Aber gleichzeitig auch eine heuchlerische Gesellschaft, die diejenigen ausgrenzt, die als „anders“ gelten, die um jeden Preis einen Sündenbock sucht, aber gleichzeitig verzweifelt jemanden braucht, den sie vergöttern kann.
Es ist kein Zufall, dass der Film genau in dem Moment beginnt, in dem im Innenhof eines Wohnhauses eine Tafel enthüllt wird, die darauf hinweist, dass der so genannte Jesus von Ottakring einst in eben diesem Gebäude lebte. Und sowohl die Offiziere als auch das Volk werden durch ihre vergeblichen Versuche, die Veranstaltung trotz des schweren Sturms durchzuführen, sofort lächerlich dargestellt. Zu ihnen gehört Major a.D. (gespielt von Rudolf Prack, hier in seiner letzten Filmrolle), eine weitere Säule des Films und das perfekte Abbild des konservativen, rassistischen Wieners. Einige der wichtigsten Momente des Films drehen sich um ihn. Ihm gegenüber steht die engelsgleiche blonde Figur des jungen Enkels, Symbol der Unschuld und der guten Gefühle.
Besonders erwähnenswert bei Jesus von Ottakring ist die Musik. Und während sich die Kamera des Regisseurs nicht scheut, der Stadt und ihren Vierteln zahlreiche Einstellungen zu widmen, hören wir zahlreiche Lieder, deren Texte, perfekt auf die behandelten Themen abgestimmt, von Wilhelm Pellert selbst geschrieben, von Herwig Seeböck gesungen und von Hans Peter Heinzl arrangiert worden sind.
Jesus von Ottakring ist kein perfekter Film. Und doch, da die Figur dieses „unsichtbaren“ Jesus so wirkungsvoll ist, ist Pellerts Debütfilm in die Geschichte eingegangen, und selbst heute, mehr als vierzig Jahre nach seinem Kinostart, wirkt er jünger und zeitgemäßer denn je. Und auch wenn im Laufe der Jahre in Österreich viele Spielfilme entstanden sind, die mit dem Finger auf die Gesellschaft zeigen, ist die letzte Bildunterschrift, die die Worte des Evangeliums aufgreift, besonders aussagekräftig: „Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder“.
Titel: Jesus von Ottakring
Regie: Wilhelm Pellert
Land/Jahr: Österreich / 1975
Laufzeit: 98’
Genre: Filmkomödie, Musikfilm, Groteskfilm
Cast: Rudolf Prack, Hilde Sochor, Peter Hey, Emanuel Schmied, Marianne Gerzner, Dieter Hofinger, Susanne Altschul, Harald Pfeiffer, Joe Trummer, Stephan Paryla, Oskar Willner, Franz Mössmer, Christian Prokop, Rudolf Kautek, Frank Lester, Eva Petra, Michael Jäger, Wolfgang Hauss, Peter Schmutz
Buch: Helmut Korherr, Wilhelm Pellert
Kamera: Dieter Wittich
Produktion: Interspot Film