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von Bettina Henkel
Note: 7.5
Bei Kinder unter Deck sehen wir ein tiefes Schuldgefühl, das von Generation zu Generation weitergegeben wird und das nicht einmal die Zeit jemals abbauen kann. Aber vielleicht kann man nur durch die Konfrontation mit der Vergangenheit – auch dank alter Fotos, die auf dem Bildschirm Gestalt annehmen und zunächst die Züge einer Bleistiftzeichnung haben – versuchen, das Problem zu lösen. Oder vielleicht doch nicht?
Magenschmerzen
Vater und Tochter. Großmutter und Enkelin. Vergangenheit und Gegenwart. Krieg und Frieden. Wie stark kann die Vergangenheit einen Einfluss auf jeden von uns haben? Anstatt zu versuchen, Antworten zu geben, hat die Regisseurin Bettina Henkel versucht, die Vergangenheit zu analysieren, indem sie einige wichtige Etappen im Leben ihrer Großmutter und ihres Vaters zurückverfolgte, um so zu versuchen, wichtige emotionale Lücken zu füllen. Und so entstand
Der Vater von Bettina ist Psychoanalytiker. Seit Jahren leidet er unter ständigen Magenschmerzen. Er hat schon immer unter einer komplizierten Beziehung zu seiner Mutter Helge gelitten. Um alte Leiden zu erwecken und herauszufinden, wie sie sich von Generation zu Generation weitervererben konnten, hat sich Bettina Henkel auf eine lange Reise von Deutschland nach Lettland, nach Polen und schließlich zurück nach Wien begeben, zurück an die Orte, an denen erst ihre Großmutter und dann ihr Vater geboren und aufgewachsen sind. Und natürlich hat ihr Vater sie auf dieser langen Reise begleitet.
Kinder unter Deck entwickelt sich auf mehreren Ebenen. Während uns die Geschichte der gesamten Welt gezeigt wird (insbesondere der Zweite Weltkrieg und der Aufstieg des Nationalsozialismus), wird parallel dazu eine viel intimere Dimension dargestellt, in deren Mittelpunkt die Familienbeziehungen stehen. Genauso sehen wir, wie sich die Geschichte wiederholt. Bettinas Vater ist zunächst distanziert und verzweifelt und hat wegen der Vergangenheit seiner Mutter als Aktivistin in der NSDAP die Beziehung zu ihr abgebrochen. Und doch entdeckt er bald, dass Helge und er viel mehr gemeinsam haben, als es auf den ersten Blick scheint: Beide sind Ärzte, beide sind Schachspieler, beide leiden unter Magenproblemen. Beide sind so unbewusst distanziert.
Bei Kinder unter Deck sehen wir also ein tiefes Schuldgefühl, das von Generation zu Generation weitergegeben wird und das nicht einmal die Zeit jemals abmildern kann. Aber vielleicht kann man nur durch die Konfrontation mit der Vergangenheit – auch dank Familienfilmen, die in Super8 gedreht wurden, oder alten Fotografien, die auf der Leinwand Gestalt annehmen und zunächst die Züge einer Bleistiftzeichnung haben – versuchen, das Problem zu lösen. Oder vielleicht doch nicht?
Bettina Henkel will darauf weder genaue Antworten geben, noch die Probleme der Vergangenheit vollständig lösen. Dies ist vielleicht nie möglich. Doch in einem intimen und poetischen Dokumentarfilm sehen wir vor allem einen Vater und eine Tochter, die einander und sich selbst kennenlernen. Vielleicht während einer langen Reise. Vielleicht sogar bei einem kühlen Getränk an den klaren Ufern der Donau.
Titel: Kinder unter Deck
Regie: Bettina Henkel
Land/Jahr: Österreich / 2018
Laufzeit: 90’
Genre: Dokumentarfilm
Buch: Bettina Henkel
Kamera: Astrid Heubrandtner-Verschuur
Produktion: FreibeuterFilm