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ZEITEBENEN – PÄDAGOGIK UND PROPAGANDA IN DEN 1920ER JAHREN

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Spielfilme, die in den 1920er Jahren in Österreich gedreht wurden, basierten meist auf Romanen oder waren Dramen, die in der Vergangenheit spielten. In diesen Filmen transportierten unterschiedliche Zeitebenen den Zuschauer in neue Welten und neue Realitäten.

Durch Zeit und Raum reisen

Zwischen Ende der 1910er und Anfang der 1920er Jahre begann sich in der österreichischen Filmproduktion eine neuartige Inszenierung zu verbreiten, mit Inserts, die die verschiedenen Zeitebenen miteinander verbanden. So wie es David Wark Griffith bereits in den Vereinigten Staaten in seiner berühmten Intoleranz getan hatte.

Die Spielfilme, die in dieser Zeit produziert werden, basieren hauptsächlich auf Romanen oder sind Dramen, die in der Vergangenheit spielen.Verschiedene Zeitebenen entführen den Zuschauer in neue Welten und neue Realitäten. Denken wir zum Beispiel an den Film Die Memoiren eines Mönchs (Regie: Friedrich Feher, 1923, nach einer Kurzgeschichte von Franz Grillparzer), so treten wir in den Mittelpunkt der Handlung, wenn ein Mönch beginnt, zwei Reisenden, die im Kloster zu Gast sind, die Geschichte des Ortes zu erzählen, an dem sie sich befinden. Das Gleiche gilt für Vier Nächte einer schönen Frau (Josef W. Beyer, 1924). Hier sehen wir die Geschichte von Saida, eine junge arabische Frau, die allein zu Hause ist, weil ihr Mann auf Geschäftsreise ist. Der Mann hat seiner Frau, damit sie sich nicht einsam fühlt, einen Vogel geschenkt. Dieser Vogel wird in den Nächten, in denen die Frau allein ist, beginnen, ihr vier Geschichten zu erzählen. Und so sind die Ereignisse der Braut und ihre Gespräche mit dem Vogel der perfekte Rahmen für den gesamten Spielfilm.

Diese besondere Struktur hat viele Filmemacher fasziniert. Es gab aber auch diejenigen, denen die Verwendung all dieser Zeitebenen in Filmen nicht gefiel. Die Rede ist von dem Historiker Béla Balasz, der in seinem 1924 erschienenen Aufsatz Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films genau auf den narrativen Rahmen und die damit verbundenen Zeitebenen einging. Er war der Meinung, dass solche erzählerischen Entscheidungen zwar in der Literatur funktionieren mögen, in einem Film aber die Geschichte schwieriger zu verfolgen machen würden. Das Kino, so Balasz, brauche eine einfache Sprache, eine visuelle Kontinuität. Und das war durch die Schaffung verschiedener Zeitebenen nicht zu erreichen. Kino und Literatur waren ihm zufolge als zwei verschiedene Künste zu betrachten, die jeweils ihre eigene Sprache brauchten.

Doch nicht nur den Filmemachern, sondern auch den Zuschauern gefielen diese besonderen Strukturen. Betrachtet man zum Beispiel den Spielfilm Alte Zeit – neue Zeit (Emil Leyde, 1919), so fällt auf, wie die verschiedenen Zeitebenen dazu dienen, die Geschichte Österreichs in den letzten Jahrzehnten nachzuzeichnen. Hier sehen wir die Geschichte der jungen Helene, die ein unkonventionelles Leben führt. Nachdem das Mädchen ins Haus einer Tante geschickt wurde, die in einem kleinen Dorf lebt, wird es sich viele Geschichten seiner Großmutter anhören und lernen, sich in der Gesellschaft zurechtzufinden, sich wie eine Erwachsene zu verhalten und zu verstehen, was die wichtigen Werte des Lebens sind. Kurz gesagt: Ein Film mit klaren pädagogischen Absichten. So auch bei vielen anderen Filmen dieser Zeit, wie Opfer des Hasses (Hans Marschall, 1923), an dessen Ende mittels einer Bildunterschrift zu Spenden zugunsten der Armen aufgerufen wurde, oder Joskor (Sidney M. Goldin, 1924), der die Lebensbedingungen von Menschen jüdischer Herkunft anprangerte.

Und so waren die verschiedenen räumlich-zeitlichen Ebenen trotz der zahlreichen Ratlosigkeiten wohl die idealen Lösungen, um Propagandafilme oder Filme mit pädagogischen Absichten zu machen. In diesen Jahren wurde in Österreich eine neue Art des Filmverständnisses geboren. Und Zuschauer, Regisseure und Filmproduzenten waren hellauf begeistert.

Bibliographie: Das tägliche Brennen: eine Geschichte des österreichischen Films von den Anfängen bis 1945, Elisabeth Büttner, Christian Dewald, Residenz Verlag
Info: Die Seite von Béla Balasz auf der Webseite der Enciclopedia Treccani