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von Lisa Weber
Note: 7.5
Bei den Dreharbeiten zu Jetzt oder morgen hat die junge Filmemacherin Lisa Weber mehr als drei Jahre lang die Geschichte von Claudia verfolgt, die im Alter von fünfzehn Jahren Mutter geworden ist. Das Ergebnis ist ein Dokumentarfilm, der an das Kino von Richard LInklater erinnert, koproduziert von Ulrich Seidl.
In der Welt von Claudia
Der normale Alltag beobachten. Was könnte einfacher sein als das? Doch das kann manchmal schwieriger sein, als man denkt. Vor allem, wenn man einen Film machen muss. Doch ein Filmgenre, in dem Österreich besonders stark ist, ist neben dem Experimentalfilm der Dokumentarfilm. Besonders erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang
Drei Jahre lang hat die junge Filmemacherin aus Wien die Geschichte von Claudia verfolgt, die im Alter von fünfzehn Jahren Mutter geworden ist und mit ihrer Mutter, ihrem Bruder, ihrem Sohn Daniel und ihrem Freund in einem Vorort der österreichischen Hauptstadt lebt. Alles beginnt an Daniels viertem Geburtstag. In der kleinen Wohnung, in der Claudia lebt, herrscht trotz der vielen Schwierigkeiten eine ruhige Atmosphäre. Sie verbringt viel Zeit schlafend oder auf der Couch liegend, während sie mit ihrem Handy spielt. Bewerbungen sind für sie nur eine „Übung“, da sie ihr Studium noch nicht abgeschlossen hat. Sie hat viel Zeit und kein Sozialleben. Doch das Mädchen hat noch ihr ganzes Leben vor sich.
Während der Dreharbeiten zu Jetzt oder morgen wurde Lisa Weber Teil der Familie, verfolgte ihr Leben, ihre Freizeit und sogar ihre Schlafenszeit. Dieses Projekt, das in seinem besonderen Regieansatz sehr an das Kino von Richard Linklater erinnert, ist etwas Einmaliges und Außergewöhnliches innerhalb der österreichischen Filmproduktion. Und wer sonst als Ulrich Seidl hätte den Mut und die Weitsicht gehabt, ihn zu produzieren? Sein Neffe, der Regisseur Severin Fiala, beteiligte sich am Schreiben des Drehbuchs und Claudias Geschichte wurde langsam zum Film. Der Regieansatz von Lisa Weber tat sein Übriges.
Nahaufnahmen, warme pastellfarbene Atmosphären, Momente großer Verzweiflung und Szenen bewegender Zärtlichkeit sind die Protagonisten von Jetzt oder morgen. Die Kamera bewegt sich, ganz im Sinne von Cesare Zavattini, nie von der jungen Protagonistin weg, außer in dem Moment, in dem Daniel seinen fünften Geburtstag im Haus seiner Großeltern väterlicherseits feiert. Und das Haus, in dem die Protagonisten leben – nur für kurze Zeit verlassen – wird hier als echter Charakter behandelt. Das Haus birgt alle Geheimnisse der Familie. Das Haus dient als Zufluchtsort, um sich vor der Außenwelt zu schützen, wenn man noch zu jung ist, um die Kraft zu haben, sich dem Leben zu stellen. Und das riesige Sofa, auf dem die ganze Familie viele Stunden des Tages verbringt, wird fast als eine Art einsame Insel mitten im Meer gesehen, auf der man völlig isoliert von der Welt ist, sich aber gleichzeitig in der Nähe seiner Geliebten sicher fühlt.
An besonders bewegenden Momenten mangelt es in Jetzt oder morgen nicht. Vor allem, wenn wir eine traurige Claudia weit weg von ihrer Familie an ihrem Geburtstag sehen. Ebenso mangelt es nicht an urkomischen Momenten, vor allem dank der Gags des Bruders der Protagonistin. Und so findet in einer kleinen Wohnung am Rande Wiens, vor Lisa Webers Kamera, das Wunder des Lebens statt. Das Kino wird zur Realität, die Realität wird zum Kino. Und dieser intime und aufrichtige
Titel: Jetzt oder morgen
Regie: Lisa Weber
Land/Jahr: Österreich / 2020
Laufzeit: 89’
Genre: Dokumentarfilm
Buch: Lisa Weber, Roland Stöttinger
Kamera: Carolina Steinbrecher
Produktion: Takacs Filmproduktion, Ulrich Seidl Film Produktion GmbH