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von Lukas Marxt
Note: 7.5
Die freie Natur ist die Protagonistin in Lukas Marxt’s Film Ralfs Farben. Die weiten Räume vermitteln gleichzeitig ein seltsames Gefühl von Agoraphobie. Freiflächen und unberührte Natur stehen im Kontrast zu hohen Gebäuden, die von der Kamera des Regisseurs fast wie eine symmetrische abstrakte Komposition gefilmt werden. Bei der Viennale 2019.
König der Wildnis
Im Jahr 2012 beschloss der junge Filmemacher Lukas Marxt nach seinem Abschluss in Regie eine lange Reise nach Lanzarote zu unternehmen, um ein paar Tage in der Einsamkeit zu verbringen und Inspiration für seinen nächsten Film zu finden. Aus der Begegnung mit Ralf Lüddermann – einem Mann, der sich seit einigen Jahren entschlossen hat, ganz allein zu leben – entstand der Dokumentarfilm
Doch kann Ralfs Farben als einfacher Dokumentarfilm eingestuft werden? Natürlich nicht. Was den ersten Teil des Films angeht, hat sich Lukas Marxt für eine klassische Inszenierung entschieden, die sich auch am Stil von James Benning orientiert. Die Bilder – zusammen mit einer Off-Stimme, die wahrscheinlich von Ralf stammt, obwohl sie den Namen „Ralf“ oft in der dritten Person ausspricht – sind hier die absoluten Protagonisten. Dann wird plötzlich alles abstrakter und bald beginnt eine Art „Spiel“ zwischen realen Bildern und von Ralf selbst erstellten Computeranimationen.
Plötzlich blenden psychedelische Lichter den Zuschauer, der sich aber nach wenigen Augenblicken in der unberührtesten Natur wiederfindet. Und was Marxt inszenieren wollte, ist eben ein starker Kontrast zwischen Natur und Technik. Das sind die Themen, die von der Stimme von Ralf behandelt werden, der immer wieder über den Wunsch des Menschen nachdenkt, immer mehr zu entdecken, über seine Möglichkeiten hinauszugehen und vielleicht sogar in den Weltraum zu starten.
Interessant sind die zahlreichen Überlegungen zu Leben und Tod sowie die Parallelen zur Welt der alten Ägypter, die die Pyramiden bauten, um eine klare Trennung zwischen der Welt der Lebenden und der Unterwelt zu schaffen. Und so scheint der kleine Hund, den wir gelegentlich in der Natur umherstreifen sehen, fast den Gott Anubis, den Beschützer der Nekropole und der Totenwelt, darstellen zu wollen. Auch wenn wir plötzlich seinen verwesenden Körper sehen, der immer an den Orten präsent ist, die Ralf so sehr am Herzen liegen. Orte, an denen die Zeit stehen geblieben zu sein scheint und die eine Art Vorhölle darstellen, weit weg vom irdischen Leben und fast nah an der Unterwelt.
Räume sind also die weiteren Protagonisten von Ralfs Farben. Weite und stimmungsvolle Räume, die ein seltsames Gefühl der Agoraphobie vermitteln. Freiflächen und unberührte Natur kontrastieren mit Bildern von hohen Gebäuden, die von der Kamera des Regisseurs fast wie eine symmetrische abstrakte Komposition gefilmt werden. Es handelt sich also um seltsame Orte, die von einem Menschen geschaffen wurden, der den Blick für das wahre Wesen der Dinge längst verloren hat und die uns deshalb so fremd, so unglaublich unnatürlich erscheinen.
Ein höchst experimenteller und kontemplativer Dokumentarfilm, Ralfs Farben. Ein Film, der über viele Jahre hinweg gedreht wurde und in dem sich auch einige Beispiele für Film im Film finden, vor allem, wenn Regisseur und Kameramann zusammen mit Ralf im Auto sitzen, der gar keine Lust hat, sein eigenes Leben zu verfilmen.
Und so erweist sich der junge Lukas Marxt sofort als einer der vielversprechendsten Regisseure innerhalb der österreichischen Filmproduktion, wo seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs dem experimentellen und avantgardistischen Film große Aufmerksamkeit geschenkt worden ist.
Titel: Ralfs Farben
Regie: Lukas Marxt
Land/Jahr: Österreich, Deutschland, Spanien / 2019
Laufzeit: 74’
Genre: Dokumentarfilm, Experimentalfilm
Buch: Lukas Marxt
Kamera: Michael Petri, Lukas Marxt
Produktion: Lukas Marxt