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IM BAZAR DER GESCHLECHTER

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von Sudabeh Mortezai

Note: 7

Im Bazar der Geschlechter, der zweite Dokumentarfilm der österreichisch-iranischen Regisseurin Sudabeh Mortezai (international bekannt durch den Spielfilm Joy, ausgezeichnet bei den Filmfestspielen von Venedig 2018), geht es um eine Realität, die nur wenige kennen: Die Praxis der Zeit-Ehe. Worum handelt es sich konkret?

Ehen und Ablaufdaten

Die Regisseurin Sudabeh Mortezai, die mit Joy – ihrem zweiten Spielfilm, der bei den Filmfestspielen von Venedig 2018 mit dem Hearst Award für die beste weibliche Regie ausgezeichnet wurde – international bekannt wurde, begann ihre Karriere als Dokumentarfilmerin. Und so erzählt der Dokumentarfilm Im Bazar der Geschlechter, der 2010 nach Children of the Prophet (2006) entstand, von einer Realität, die nur wenige kennen: Den Zeit-Ehen. Worum handelt es sich konkret?

Um darüber zu berichten, kehrte Sudabeh Mortezai in ihre Heimat, den Iran, zurück. Dort gibt es nach den Grundsätzen der islamischen Religion Arten von Ehen (die sogenannte Zeit-Ehen), die zwischen zwei Menschen geschlossen werden, auch wenn der Mann in der Zwischenzeit noch mit anderen Frauen verheiratet ist oder nicht genug Geld hat, um sich eine Braut leisten zu können. Solche Ehen dienen nach Ansicht einiger auch der Bekämpfung der Prostitution und sind für die Frau oft ungünstig: Der Mann ist oft sehr wählerisch gegenüber seiner zukünftigen Frau und es ist oft ein Problem, wenn sie verwitwet, geschieden oder nicht mehr sehr jung ist.

Für seinen Dokumentarfilm Im Bazar der Geschlechter hat sich Sudabeh Mortezai für einen ungefilterten, unzensierten Ansatz entschieden, mit einer Kamera, die fast unsichtbar zu sein scheint, die sich auf die Beobachtung dessen beschränkt, was vor ihr geschieht, und uns in eine ferne, unbekannte Welt entführt. Interessant ist die Parallele, die zu den heiligen Texten aus der Zeit vor etwa eintausendvierhundert Jahren gezogen wird, die am Anfang des Dokumentarfilms dank elementarer animierter Zeichnungen illustriert werden. Daher die Parallele zu unserer Zeit und die Kritik an bestimmten Systemen, die gewisse Gewohnheiten und Klischees nicht überwinden wollen.

Frauen tragen natürlich die Konsequenzen. Und so werden wir an den Film Joy erinnert, Mortezais jüngstes Werk, in dem von einer singulären Realität erzählt wird, die ihren Ursprung in Nigeria hat und einige junge Frauen dazu bringt, sich in Europa zu prostituieren, um den bösen Blick loszuwerden. Sowohl im Dokumentarfilm Im Bazar der Geschlechter als auch in der bereits erwähnten Joy steht daher die Figur der Frau im Mittelpunkt. Beides sind Denunziationsfilme, beide auf eine wirkungsvolle Art und Weise gemacht und niemals didaktisch oder redundant. Die beiden Filme ähneln sich auch in ihrem besonderen Regieansatz, auch wenn der erste ein Dokumentar- und der zweite ein Spielfilm ist. Sudabeh Mortezais Film ist extrem realistisch, ohne jegliche Regievirtuosität, aber mit einer Kamera, die sich darauf beschränkt, ihre Aufgabe als Beobachter zu erfüllen.

Auch in Im Bazar der Geschlechter zog es die Regisseurin vor, auf erklärende Bildunterschriften zu verzichten, aber indem sie den Protagonisten ständig folgte, gelang es ihr, uns jeden einzelnen Aspekt und jede Sichtweise zu zeigen, ohne jemals übermäßig wertend zu sein.

Und auch wenn sich das gesamte Werk manchmal zu wiederholen scheint, ist seine elliptische Struktur besonders signifikant: Sie zeigt uns am Anfang und am Ende Männer und Frauen, die sich jeden Tag in den Straßen Teherans drängen und ihren Tätigkeiten nachgehen. Ein Alltag, der so hektisch ist, dass kein Platz für Gefühle bleibt.

Obwohl es erst der zweite Dokumentarfilm der Regisseurin ist, zeigt Im Bazar der Geschlechter einen reifen und aufmerksamen Blick. Und all das macht Sudabeh Mortezai zu einer der vielversprechendsten Filmemacherinnen des zeitgenössischen österreichischen Films.

Titel: Im Bazar der Geschlechter
Regie: Sudabeh Mortezai
Land/Jahr: Österreich, Deutschland / 2010
Laufzeit: 85’
Genre: Dokumentarfilm
Buch: Sudabeh Mortezai
Kamera: Arastoo Givi, Majid Gorjian
Produktion: Freibeuter Film, Licht Film, ZDF

Info: Die Webseite von Im Bazar der Geschlechter