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von Carol Reed
In Carol Reeds Der dritte Mann ist Wien mit einem Doppelgesicht dargestellt, das mal mit Holly Martins, mal mit Harry Lime assoziiert werden kann. In Martins‘ Wien ist die Kultur ostentativ, der Fremde, der zunächst mit Herzlichkeit begrüßt wird, wird dann ständig misstrauisch beäugt. Das Wien von Lime ist hingegen ein Untergrund-Wien. Das Wien der Illegalität, des Verbrechens, das Wien, das weniger bekannt, aber lebendiger ist denn je.
Wenn die Stadt schläft
Es ist kein Zufall, dass der britische Regisseur Carol Reed die Stadt Wien als Drehort für seinen Film Der dritte Mann (1949) wählte. Das ist kein Zufall, denn die Stadt, die schon immer ein Schmelztiegel vieler Kulturen war, erscheint unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch fragmentierter. Und so spielt der Film genau im Jahr 1946.
Wien wurde daraufhin in vier Sektionen aufgeteilt: eine wurde von den Amerikanern, eine von den Briten, eine weitere von den Franzosen und die letzte von den Russen kontrolliert. Innerhalb der Stadt fühlen sich die Österreicher verloren und wollen gleichzeitig ihre Räume und ihre nationale Identität verteidigen. Von besonderer Bedeutung sind in Der dritte Mann die Figuren der älteren Wiener Damen, die von ihren Fenstern aus gegen jeden, der den Frieden stören könnte, schimpfen, und der ältere Pförtner des Hauses, in dem Harry Lime (ein außergewöhnlicher Orson Welles) wohnte.
Ja, Harry Lime. Seiten und Seiten würden nicht ausreichen, um seinen unvergesslichen Charakter zu beschreiben. Er ist eine total negative Figur, die sich dem illegalen Verkauf von Penicillin verschrieben hat. Bei ihm aber fühlt sich das Publikum sofort eingestimmt. Und das, sobald der Schauspieler zu den Tönen des berühmten
Und so repräsentieren die Charaktere von Holly Martins und Harry Lime im weitesten Sinne das doppelte Gesicht Wiens in Der dritte Mann. Eine Stadt mit Blut an den Händen, so der Regisseur Carol Reed. Hier klagt der Filmemacher die österreichische Gesellschaft an („Diese Österreicher werden nie lernen, gute Bürger zu werden“, sagt eine der Figuren, die in Limes mysteriöses Verschwinden verwickelt sind), während er die hypokritische Seriosität kritisiert, die hinter dem Bild einer perfekten Stadt etwas Kontroverses verbirgt. Ebenso fließen in der Donau, die hier als Wasserscheide zwischen den vier Sektoren der Stadt fungiert und deren Wasser den Österreichern fast „heilig“ ist, symbolisch die Abflüsse der städtischen Kanalisation zusammen (die Aussage des Polizeiinspektors Calloway, „All dieser Mist ist dazu bestimmt, in der schönen blauen Donau zu enden“, ist in dieser Hinsicht sehr bedeutend).
In Martins‘ Wien ist die Kultur also ostentativ, der Fremde wird zunächst mit Herzlichkeit begrüßt, gleichzeitig aber auch ständig mit Misstrauen beäugt. So wie es Martins selbst passierte, als er zu einer Konferenz eingeladen wurde, um seine schäbigen Romane zu präsentieren. Ein Wien also, das extrem dekadent, düster und verstörend ist, aber auch ein ungewöhnliches Gefühl von Agoraphobie vermittelt. Vor allem in den Momenten, in denen sich die Figuren auf riesigen Plätzen aufhalten, deren Pflaster sehr glänzend erscheint, nachdem Carol Reed sich entschlossen hat, die Straßen der Stadt vor jeder Kameraeinstellung nass zu machen.
Limes Vienna hingegen ist im Underground angesiedelt. Das Wien der Illegalität, des Verbrechens. Ein weniger bekanntes Wien, aber lebendiger denn je.
Ein solcher Dualismus provoziert daher unweigerlich ein tiefes Gefühl von Unbehagen und Desorientierung. Genauso wie Carol Reeds fast an Robert Wienes
Info: Die Seite von Der dritte Mann auf Imdb
Titel: The third Man
Regie: Carol Reed
Land/Jahr: GB / 1949
Laufzeit: 104’
Genre: Thriller, Noir
Cast: Joseph Cotten, Alida Valli, Orson Welles, Paul Hoerbiger, Ernst Deutsch, Siegfried Breuer, Hedwig Bleibtreu
Buch: Graham Greene
Kamera: Robert Krasker
Produktion: London Film Productions
Freigabedatum: 30/11/1949