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MODELS

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von Ulrich Seidl

Note: 8.5

Nach dem Anschauen von Models (wie auch nach dem Anschauen von jedem anderen Werk von Ulrich Seidl) kann man nicht unberührt davonkommen. Und das ist genau das, was der Regisseur will: Den Zuschauer mit einem grausamen und schmerzlichen Film schockieren.

Sein und scheinen

Der Regisseur Ulrich Seidl hat in seinen Filmen oft interessante weibliche Charaktere hervorgehoben. Das gilt zum Beispiel für die Trilogie, die aus Paradies: Liebe (2012), Paradies: Glaube (2012) und Paradies: Hoffnung (2013) besteht, aber auch für seinen sechsten Kinospielfilm Models (1998), der bei der Diagonale 2019 im Rahmen der Reihe Weiblichkeiten gezeigt wurde.

Der Regisseur hat stets die Fehler der heutigen Gesellschaft aufgezeigt und ihren latenten Faschismus angeprangert, über den schon die Exponenten des Wiener Sozialtheaters vor ihm geschrieben hatten. In Models wird daher die weibliche Figur – und im vorliegenden Fall die Figur der Vivian, die zusammen mit ihren Kolleginnen Lisa und Tanja von einer Karriere als Modell träumt – als Opfer betrachtet. Ihr Henker ist, wie so oft, die Gesellschaft selbst, in der das Scheinen – und nicht das Sein – als notwendig betrachtet wird, um akzeptiert zu werden.

Dieses Thema ist aktueller denn je, wenn man bedenkt, dass heutzutage durch die Soziale Netzwerke der Exhibitionismus und der Wunsch, eine Rolle zu spielen, der jedem von uns innewohnt, stark zum Vorschein kommt. Aber Seidl hat bekanntlich schon immer Themen entdeckt und inszeniert, die so aktuell sind, dass sie sogar universell werden.

Bei Models ist vor allem der Ansatz interessant, mit dem der Regisseur die Geschichten der Protagonistinnen inszeniert hat. Die Inszenierung erinnert – wie schon in zahlreichen Werken des österreichischen Filmemachers, unter anderem in der erwähnten Paradies-Trilogie – fast an einen Dokumentarfilm, mit einer Kamera, die das Leben der jungen Protagonistinnen in ihrem Alltag begleitet. Und der Zuschauer weiß nicht mehr, wo die Grenze zwischen Fiktion und Realität verläuft (aber gibt es eigentlich eine Grenze?).

In Models hat Ulrich Seidl eine wenig ausgeprägte Ästhetik gewählt. Doch sein Regieansatz greift die Theorien Zavattinis so weit wie möglich auf und bietet uns oft symmetrische und statische Bilder, die im Kontrast zur inneren (und äußeren) Unruhe der Figuren stehen.

Die Kamera wird sofort zum treuen Vertrauten der Protagonistinnen, spielt nun die Rolle eines Spiegels (wenn wir zum Beispiel die Szenen sehen, in denen sich die Frauen schminken oder einfach nur im Spiegel betrachten, sei es in ihren Schlafzimmern oder in den Badezimmern eines Nachtclubs) oder eines stillen und unterwürfigen Beobachters (vor allem, wenn wir Vivian im Badezimmer ihres Hauses sehen, wie sie sich nach einem Bulimieanfall übergeben muss oder mit ihrem Freund über ihre persönlichen Probleme spricht).

Eine Kamera also, die nie urteilend ist (zum Nachteil jeglicher Kritik, die Seidls Filme immer aufgeworfen haben), sondern eher liebevoll, nah, aber ohnmächtig in dem Moment, in dem konkrete Hilfe nötig ist. Nur die Kamera weiß wirklich, wie sehr sich Vivian noch als Kind fühlt. Die Plüschtiere neben ihrem Bett oder die Vorliebe für rosa Einrichtungsgegenstände sind in dieser Hinsicht sehr bedeutsam. Dieser Kontrast kann nur eine tiefe Unzufriedenheit erzeugen, aus der es keinen Ausweg gibt (wie die Großaufnahme des Gesichts des Protagonisten zeigt, der plötzlich seinen Ausdruck ändert).

Nach dem Anschauen von Models (wie auch nach dem Anschauen von jedem anderen Werk von Ulrich Seidl) kann man nicht unberührt davonkommen. Und das ist genau das, was der Regisseur will: Den Zuschauer mit einem grausamen und schmerzlichen Film schockieren. In diesem Fall will er nicht die Protagonistinnen verurteilen, sondern die Gesellschaft „bestrafen“, die sich schuldig gemacht hat, „Monster“ geschaffen zu haben. Monster, die unglaublich empfindsam und unschuldig sind. Genau wie Vivian, die im Spiegel „Ich liebe dich“ schreit oder jeden ihrer Liebhaber verzweifelt fragt, ob er sich jemals in sie verlieben könnte. Genau wie Vivian, die immer am Ende Kokain auf dem Toilettensitz in einer öffentlichen Toilette snifft.

Titel: Models
Regie: Ulrich Seidl
Land/Jahr: Österreich / 1998
Laufzeit: 118’
Genre: Drama
Cast: Vivian Bartsch, Tanja Petrovsky, Lisa Grossmann, Elvyra Geyer, Peter Baumann
Buch: Ulrich Seidl
Kamera: Hans Selikovsky, Jerzy Palacz, Ortrun Bauer
Produktion: MR-Film

Info: Die Seite von Models auf der Webseite der Austrian Film Commission